Eröffnung der DLD-Konferenz im Münchner HVB-Forum.

Foto: Burda Media

Martin W. Drexler mit Jeff Jarvis (Buzzmachine) und Steve Rogers (Google UX Emea) beim Social-Media-Workshop.

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Was 2005 als Experiment und Orientierungsinstrument des deutschen Verlegers Hubert Burda ("Focus", "Bunte") für das digitale Zeitalter gedacht war, entpuppte sich spätestens im Jahr darauf als Institutionalisierung einer zukunftsorientierten Wissenskonferenz internationalen Formats. "Update Your Reality" war das Leitthema der diesjährigen DLD, das 120 der weltweit besten Köpfe aus Medien, aus Internet & IT, Medizin, Kunst und Kultur, Wirtschaft und Musikbusiness gemeinsam mit den 1.000 Gästen gründlich ausloteten.

David Kirkpatrick war es auch, der als international gestählter Medienkonferenz-Teilnehmer der DLD bereits vor drei Jahren attestierte, die beste Medienveranstaltung in Europa zu sein – mit dem überzeugten Zusatz – "by far". Als eloquenter Moderator einiger Panels präsentierte er heuer sein Buch "The Facebook Effect". Kirkpatrick war lange Zeit Senior Editor für Internet- und Technologiethemen bei der Zeitschrift "Fortune" und hatte dadurch direkten Zugang zum Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und anderen Spitzenmanagern des Unternehmens.

Natürlich war "Social Media", und hier vor allem Facebook, das herausragende Thema dieser Konferenz. Wer kann schon ein Phänomen ignorieren, an dem mehr als 500 Millionen Personen im freiwilligen Selbstversuch teilnehmen. Abgesehen von den verschiedensten durchdiskutierten Szenarien wie sich diese Plattform entwickeln wird, ließ die Meinung einiger hochrangiger Teilnehmer aufhorchen, dass, sollte Facebook jemals an einem eigenen Bezahlmodell arbeiten (und daran wird schon gearbeitet), dies wohl innerhalb weniger Jahre die wichtigste übergeordnete Währung der Welt darstellen würde. Ein interessanter Aspekt zu einem Phänomen, das niemand jemals in irgendeinem Zukunftsszenario prognostiziert hat. Marshall McLuhans Sager vom "globalen Dorf" hat spätestens mit diesem globalen Hype seine absolute Wahrheit erfahren.

Auch Don Tapscott, kanadischer Unternehmer und Wirtschaftsprofessor in Toronto, präsentierte sein Buch "Macrowikinomics". Er hat das Schlagwort "Wikinomics" erfunden, das dieses revolutionäre Gedankenmodell beschreibt. Erstmals in der Geschichte der Menschheit werden die Konsumenten als "Prosumenten" in den Produktionsprozess eingebunden und durch freiwillige Zusammenarbeit der Internetgeneration gesteuert. Tapscott nannte die vier Erfolgsfaktoren, beziehungsweise die Charakteristika, die für "Wikinomics" notwendig sind:

  • die bereits erwähnte freiwillige Zusammenarbeit,
  • die Offenheit,
  • die Kultur des Teilens und
  • jene des globales Handelns, die durch die Nutzung des Internets erst richtig ermöglicht werden.

Der erste DLD-Tag endet mit einem besonderen Highlight und einem "Heimspiel" für Deutschland. Der deutsche Designer Daniel Simon moderiert den 3D-Blockbuster "Tron: Legacy" im voll besetzten Cinemaxx München ein. Schließlich hat er die phantastischen Fahrzeuge für das SiFi-Spektakel entworfen und umgesetzt.

Marc Benioff, CEO von Salesforce, sieht keine Zukunft mehr für statische Sites: "Das alte Internet mit seinen mehr oder weniger statischen Sites wird verschwinden und das neue wird bestimmen, was und wie wir so gut wie alles über dieses tun." Ob das für uns alle ausschließlich von Vorteil sein wird, sei dahingestellt. Fest steht, dass der Grundtenor bei der Veranstaltung "Web goes Mobile" war.

Der Mann, der einen Schiberg mitten in Kopenhagen entwirft

Der dänische Architektekt Bjarke Ingles ließ die TeilnehmerInnen im Panel schmunzelnd lauschen. Neben seinen futuristischen Architekurszenarien für Städte der Zukunft will der junge Gastdozent der Havard School of Design das höchste Gebäude Kopenhagens, eine Müllverbrennungsanlage, unter einer neuen Multifunktionshülle verschwinden lassen. Dieser künstliche Berg soll mit hängenden Gärten und Schipisten mit drei verschiedenen Schwierigkeitsgraden ausgestattet werden. Ganz einfach!

Höchst interessant war auch jener Workshop, zu dem die Deutsche Lufthansa eine Schar ausgewählter Gäste eingeladen hatte. Unter der Leitung von Buzz-Maschinisten Jeff Jarvis gingen diese Teilnehmer, wie Raphael Gielgen (Bene Deutschland), Steve Rogers (Google UX-Boss EMEA), Patrick Liotard-Vogt (CEO asmallworld) und der Autor dieser Zeilen dem Gedankenszenario nach, wie über Social Media das Flugangebot und vor allem die Zeit im Flugzeug smarter gestaltet werden könnte. "Client services influenced by social media", ein interessantes Gedankenexperiment, das hoffentlich ehebaldigst umgesetzt sein wird.

Staatsmännischer Abschluss

Die DLD-Konferenz endete mit einer besonderen Überraschung. Eric Schmidt, scheidender Google CEO, hielt seine "farewell speech" auf europäischem Boden. Zwar war diese "nur" eine adaptierte Form seiner Rede auf der IFA vom vorigen Jahr, aber diese war an staatsmännischer Rhetorik absolute Sonderklasse.

Schmidt, der 2001 beim damals jungen Suchmaschinen-Startup anheuerte, ließ keinerlei Amtsmüdigkeit in seiner launigen und betont freundschaftlichen Rede erkennen: "Mein nächstes Jahrzehnt bei Google wird noch besser werden als das letzte schon gewesen ist", sagte Schmidt. Ein Satz von Schmidt wird vermutlich als "Sager" in die Mediengeschichte eingehen, als er meinte, die Menschen werden bald nur mehr in zwei Gruppen eingeteilt sein: "Jene, die schlafen, und jene, die online sind".

Außerdem hatte Schmidt noch ein spezielles Abschiedsgeschenk im Gepäck. Google werde in Deutschland an die hundert und in Europa tausend neue Arbeitsplätze schaffen. Wenn man die außergewöhnlich gestalteten Google Offices in Zürich, Dublin oder Stockholm kennt, brechen auch für die neuen Google Mitarbeiter glückliche Zeiten an. (Martin W. Drexler/derStandard.at/28.1.2011)