"Das machen nur charakterschwache Assimilzombies, also nur jene Leute, die durch Arschkriecherei glauben die nötige Anpassungsleistung erbracht zu haben."

Foto: Meri Disoski

Der deutsche Autor Feridun Zaimoğlu ist auf Kurzbesuch in Wien. Am Donnerstag unterhielt er sich im Rahmen der Wiener Stadtgespräche über "Einwanderung als Herzenssache". Ansonsten ist der Parade-Rebell der deutschsprachigen Kulturszene alles andere als "handzahm": Die Denunziation der ersten GastarbeiterInnengeneration ist ihm genauso zuwider wie "arschkriechende", überangepasste MigrantInnen und alles politisch Korrekte in der Integrationsdebatte, wie er im Interview mit daStandard erklärt.

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daStandard.at: Wie fühlt man sich als Gastarbeiterkind in der Hochkultur?

Zaimoğlu: Ich übersetze das mal in meine Worte: Wie fühlt man sich als Arbeiterkind im bürgerlichen Sektor? In den Anfängen war ich verwirrt. Ich war gewissermaßen das verwirrte Kind von dem einige sagten es sei das revolutionäre Subjekt, einer der mal ein bisschen Fitness in die Modalitäten bringt. Andere sagten: "Endlich, endlich haben wir das begabte Kind gefunden.‘ Und wieder andere hielten mich für einen Punker, was gar nicht so schlecht war, weil ich tatsächlich aus der Punkszene komme. Und ich war ganz sicher im bürgerlichen Sektor erstmals nicht zu Hause. Aber ich suchte ja auch nicht nach einer Behaustheit. Nach 16 Jahren kann ich sagen, dass ich erstaunt bin wenn es heißt, "Zaimoğlu ist in der Hochkultur angekommen".

daStandard.at: Wie hat man Sie in der Kulturszene anfangs wahr genommen?

Zaimoğlu: Als Arbeiterkind im bürgerlichen Kultursektor musste ich mir immer wieder sagen lassen, dass ich ein Eindringling bin. Und die Vorstellung gefiel mir! Tatsächlich bin ich ja auch wirklich dort eingebrochen. Ich habe immer große Anstrengungen unternommen, um von der Arbeiterbaracke weg zu kommen. Dort ist es eng, es stinkt, man riecht die Körperausdünstungen der Familienmitglieder - das will man nicht! Also weg von der Baracke und hin zu jemandem, der sich auf der Bühne des Literaturbetriebes behauptet.

daStandard.at: Wenn Sie Horst und nicht Feridun heißen würden, wie hätte es dann ausgesehen mit dem "Sich-Behaupten"? Wäre es leichter gewesen?

Zaimoğlu: Die Ethnie ist strunzlangweilig! Der Bezug auf die Ethnie ist ein Rückschritt. Dass man über die Ethnie und über den Glauben der Menschen spricht, hat ja nichts mit mir zu tun, sondern mit dem fremden Blick auf mich. Seltsam ist es schon, dass ich mir manchmal wie ein Ethnologe vorkomme. Ich beschreibe ja die meiste Zeit nicht mich, sondern Figuren aus dem Gruselkabinett, aus dem Völkerkundemuseum, in das dann die Eingeborenen oder die Einheimischen hineingehen. Würde ich Horst heißen, hätte ich vielleicht über meine bayrische Heimat berichtet.

daStandard.at: Gehen wir einen Schritt zurück. Sie bezeichnen sich selbst als Deutscher und haben vorhin von sich als "Arbeiterkind" und nicht als "Gastarbeiterkind" gesprochen. Ist es denn so einfach, seine Herkunft auszublenden?

Zaimoğlu: Aber ich werde ja nicht weniger, in dem ich sage, dass ich Deutscher bin. Es ist mir oftmals nahe gelegt worden, meine Herkunft zu verleugnen. Aber das würde einer Herabwürdigung meiner Eltern gleichkommen und das ist für mich schier unmöglich! Das machen nur charakterschwache Assimilzombies, also nur jene Leute, die durch Arschkriecherei glauben die nötige Anpassungsleistung erbracht zu haben. Allerdings spielen manche herkunftsfremde Menschen das schäbige Spiel mit. Es wird ihnen gesagt "Du bist dabei, wenn du deine Eltern verkaufst!" Das tu‘ ich nicht! Und ich scheiße jedem auf's Haupt, der mir beibringen möchte, dass ich nur um den Preis des Ausverkaufs, der kompletten Loslösung wirklich in der Gesellschaft ankommen kann.

daStandard.at: Kommen wir nochmals auf die Begrifflichkeiten zu sprechen. Sie reden von Arbeiterkindern und nicht von Gastarbeiterkindern, von fremdstämmigen oder herkunftsfremden Personen und nicht von MigrantInnen. Wieso insistieren Sie auf diese Begrifflichkeiten?

Zaimoğlu: Das Wort Gastarbeiter vernebelt die Umstände, es ethnisiert die soziale Frage. Man ist als Arbeiter, als Angehöriger der Unterschicht, immer in den Arsch gekniffen - egal wo. Und deshalb bestehe ich auf die Begrifflichkeiten Arbeiterkind und Unterschicht. Der Status Gastarbeiterkind suggeriert ja außerdem, dass sich der Status der Eltern auf die Kindern überträgt, was vollkommener Blödsinn ist. Wir drei, die wir hier sitzen, sind weder Gastarbeiter, noch Migranten oder Zuwanderer. Oder wandern Sie etwa ständig ein und aus?

daStandard.at: Und was halten Sie von der Umschreibung "Personen mit Migrationshintergrund"?

Zaimoğlu: "Menschen mit Migrationshintergrund" ist für mich wirklich das Allerletzte. Mit dem Beiwort "Migrationshintergrund" wird man ja zum Gegenstand, das ist eine Produktbezeichnung mit dem Prädikat "besonders mies". Das politisch Korrekte ist für mich eine Form der Verschleierung. Aber es gibt da draußen ja Leute, die mit noch viel schlimmeren Begriffen auf den Rücken von Ex-Jugos und Moslems sehr erfolgreich auf Stimmenfang gehen.

daStandard.at: 2006 haben Sie als erster türkischstämmiger Autor überhaupt einen Leitartikel mit dem Titel "Mein Deutschland" für "Die Zeit" geschrieben. Darin sagen Sie, dass Einwanderung langsam zur Erfolgsgeschichte werde und immer mehr zugezogene Menschen an die Spitze der Gesellschaft kämen. Angesichts der Situation in Österreich, wo wir eine einzige Politikerin mit Migrationshintergrund im Parlament haben oder der Anteil an JournalistInnen mit Migrationshintergrund 0,49% beträgt, finden wir das etwas schönmalerisch.

Zaimoğlu: Ich bin davon überzeugt, dass es mit Repräsentationspolitik allein nicht getan ist. Ich bin nicht dafür, dass jede zweite Nachrichtensprecherin ein ‚-ić‘ oder ein ‚-oglu‘ als Suffix im Nachnamen haben muss. Denn auch das wäre eine Verschleierung der Verhältnisse. In Deutschland ist es in den letzten Jahre Mode geworden, die Geschichte der Einwanderung als Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen zu verkaufen. So hat etwa der ehemalige Bundeskanzler Schmidt öffentlich gesagt, dass es ein Fehler gewesen sei, die Türken in den 60er-Jahren nach Deutschland einzuladen. Die Denunziation der ersten GastarbeiterInnengeneration ist plötzlich Teil der Politikpropaganda des Establishments. Das darf man natürlich nicht übersehen. Trotzdem, die Geschichte der Zuwanderung ist erst 40 Jahre her und gemessen an diesem Zeitraum muss man sagen, dass schon wirklich viel passiert ist.

daStandard.at: Nochmals zur Repräsentationspolitik: Sie selbst gelten ja als Paradebeispiel für ein erfolgreiches Kind der zweiten Generation, als Vorbild. Solche Vorbilder muss es im öffentlichen Leben doch geben, oder?

Zaimoğlu: Ja, natürlich muss es die geben! Und viele fragen sich zu Recht, wieso die Vielfalt der Gesellschaft unsichtbar ist, also nicht abfärbt auf Fernsehen, auf die Kultur und auf alle andren gesellschaftlichen Lebensbereiche. Die Wirklichkeit da draußen muss sich abbilden können, das ist natürlich eine legitime Forderung. Aber selbstverständlich kann das nur ein Teil der Forderung sein, ein Schritt in einem langen Prozess.

daStandard.at: In Ihrem bereits angesprochenen Artikel sagen Sie auch, dass sich in Deutschland ein "deutscher Islam" ausbilden würde. Was meinen Sie genau damit?

Zaimoğlu: Ein deutscher Islam ist der Realität geschuldet, dass es immer mehr Moslems in Deutschland geben wird und dass dann die Verhältnisse in Deutschland natürlich auf die Moslems abfärben. Insofern wird sich ein ganz bestimmter, ein besonderer Islam in Deutschland herausbilden. Zu diesem deutschen Islam werden dann etwa auch deutsch predigende Imame gehören. Manche mögen das vielleicht lächerlich finden, aber das ist es nicht. Es ist eine Sichtbarmachung, ein ganz kleiner Schritt zur Normalisierung. Vergleichbar etwa mit der Nachrichtensprecherin, deren Namen mit dem Suffix ‚-ić‘ oder ‚-oglu‘ aufhört. (Meri Disoski und Olivera Stajić, 28. Jänner 2011, daStandard.at)