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Polizeiaufmarsch in Kairo. Aber wer fürchtet sich vor wem: Inflation hat die Demos angefacht.

Foto: Reuters/Dalsh
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Die hohen Preise für Lebensmittel haben die Proteste in Ägypten, Algerien und Tunesien weiter angefacht. Nun droht eine zweite Runde: Vorsorgekäufe mehrerer Regierungen könnten die Preise weiter antreiben.

Es ist nicht so, als wäre die Führung rund um Staatschef Hosni Mubarak nicht rechtzeitig gewarnt gewesen. "Wenn der Anstieg der Lebensmittelpreise weitergeht, wird der öffentliche Ärger gegen die Regierung explodieren" , prophezeite der ägyptische Ökonom Hamdi Abdelazim bereits Anfang November. Rund drei Monate später hat die Explosion die Straßen Kairos erreicht.

Bei den Protesten in Tunesien, Algerien und jetzt Ägypten geht und ging es nicht nur um Nahrungsmittelpreise. Schlechte Regierungsführung und Korruption brachten die Menschen gegen die Regime auf. Aber fast überall mischte sich Wut über den sprunghaften Anstieg der Lebenskosten hinzu. In Tunesien hielten Menschen bei Demos Baguettes in die Höhe, um auf den hohen Brotpreis aufmerksam zu machen. In Algier schrien Demonstranten: "Bringt uns Zucker." Der Preis für das Genussmittel ist heute an den Terminbörsen doppelt so hoch wie 2009.

Inzwischen sind die Unruhen selbst zum Preistreiber geworden. Die Nachbarstaaten Tunesiens haben in den vergangenen Wochen angefangen, Lebensmittel zu horten. Laut Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst bei der deutschen Commerzbank, haben mehrere Maghreb-Länder ihre "Weizenkäufe vorsorglich kräftig ausgeweitet, für den Fall des Falles" . Allein Algerien hat etwa 800.000 Tonnen an Weizen bestellt.

Auch Saudi-Arabien fragt deutlich mehr Getreide nach. In den USAsind die Weizenexporte erstmals seit September wieder über eine Million Tonnen pro Woche gestiegen. Die Lagerbestände sind niedrig, warnt Fritsch. Eine starke Nachfrage und ein schwaches Angebot treibt die Preise nach oben. Der Weizenpreis ist seit 10. Jänner um mehr als zehn Prozent gestiegen und hat seinen neuen Höchststand seit 2008 erreicht.

Das Problem trifft nicht nur die arabische Welt. Auch Bangladesch und Indonesien haben nach den jüngsten Preisanstiegen angefangen, Agrarrohstoffe im großen Stil einzukaufen. Allerdings ist der arabische Raum die anfälligste Region für Lebensmittelpreisschwankungen, sagt die UN-Welternährungsorganisation FAO. 50 Prozent der Kalorien, die in der Region verbraucht werden, müssen importiert werden. Besonders bei Weizen ist die Abhängigkeit hoch. Dass die Produktion der lokalen Landwirtschaft mit dem Verbrauch nicht Schritt halten kann, hat mehrere Gründe. Bei der FAO gelten die erschwerten Anbaubedingungen, etwa der Mangel an Wasser, gepaart mit einem raschen Bevölkerungswachstum, als Hauptursache.

Rainer Lang von "Brot für die Welt" : "Viele nordafrikanische Staaten haben ihre Landwirtschaft jahrzehntelang vernachlässigt" , meint er. Algerien, Marokko und Ägypten hätten zu lange auf die Absatzmärkte in der EU geschielt. "Angebaut wurden Oliven und Trauben. Das brachte zwar Geld, trägt aber nichts zur Versorgung der Bevölkerung bei. "

Die zunehmenden Hamsterkäufe in globalem Maßstab beunruhigen inzwischen auch die FAO. "Die medienwirksamen Großeinkäufe können weitere Importeure dazu verleiten, jetzt übereilt zuzuschlagen" , meint FAO-Experte Abdolreza Abbassian. Das würde die Preise erst weiter antreiben.

Krise treibt Ölpreis

Die gute Nachricht: Der Reispreis ist noch stabil. Und solange Exporteure in Kanada, USA und in Europa nicht mit Ausfuhrbeschränkungen reagieren, glaubt Abbassian nicht an eine Krise im ähnlichen Ausmaß wie 2008.

Nicht nur die Agrarpreise, sondern auch die Ölnotierungen schnellen wegen der Unruhen in die Höhe. An der Londoner Börse stieg der Kurs der Nordseemarke Brent auf knapp 100 Dollar je Fass. In New York legte der Preis für die Sorte WTIum vier Prozent auf 90 Dollar zu. (Lukas Sustala, András Szigetvari, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29./30.1.2011)