Sie seien ein weiterer Informationskanal, übten aber auch enormen (Zeit-)Druck auf die Politik aus, erklärten hochrangige Experten beim WEF.

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Subversive Blogger in Tunesien, Twitterer aus Ägypten, hunderttausende Geheimdokumente auf Wikileaks - wie beeinflussen digitale Medien die Diplomatie? Darüber dachte am Freitag ein handverlesener Kreis von Experten beim WEF in Davos nach. Richard Haass, unter Colin Powell Planungsdirektor im US-Außenamt und heute Präsident des Council on Foreign Relations, war da. Dazu stießen der polnische Außenminister Radek Sikorski, sein Amtskollege aus Österreich Michael Spindelegger und New York Times-Herausgeber Arthur Sulzberger.

Es gebe einen konstanten Druck, schnelle Entscheidungen zu fällen, wo keine schnellen Entscheidungen angebracht seien, hieß es in dem unter Chatham House Rules geführten Gespräch. Einige lehnten Twitter als Kommunikationsmittel ab, weil sich "komplexe außenpolitische Sachverhalte nicht mit 140 Zeichen darstellen lassen" . Mit den neuen Medien seien Politiker zudem sehr zurückhaltend geworden, sich beiläufig zu etwas zu äußern. Denn wenn etwas "draußen in der virtuellen Welt ist, bleibt es dort für immer stehen".

Trotz solcher Bedenken will das österreichische Außenministerium laut Spindelegger noch im Frühjahr zu zwitschern beginnen und auch seine Website grundlegend den neuen Gegebenheiten anpassen.

Unumstritten war, dass "Social Media die öffentliche Meinung enorm beeinflussen können" und Interessengruppen über die Kanäle großen Druck machen. Die Diplomatie habe darauf noch keine adäquate Antwort gefunden, hieß es. Als Informationsquelle dagegen flössen Twitter und Facebook heute in die politische Lagebeurteilung ein - und seien dennoch mit großer Vorsicht zu genießen: "Wenn man die grüne Bewegung im Iran nur über Twitter verfolgt hätte, dann hätte man zu einer überoptimistischen Beurteilung kommen können." Diese Medien seien von Meinungen und nicht von Fakten getrieben. Das in einen erklärenden Kontext zu stellen sei Aufgabe von Diplomaten - und auch jene von Journalisten.

Wikileaks wurde - nach Radio- und TV-Livesendungen - als eine weitere Stufe auf dem Weg eingeschätzt, in unvermittelten Kontakt mit dem Publikum zu treten. Von journalistischer Seite kam der Einwand, dass die dort veröffentlichten US-Geheimdepeschen einer starken redaktionellen Prüfung und Auswahl unterzogen werden müssten, um einen größeren Wert für ihre Leser darzustellen. Aber entsteht auch unter diesen Umständen ein diplomatischer Schaden daraus?

"Wikileaks, na und?"

"Wikileaks, na und?" , sagte einer der Teilnehmer im Standard-Gespräch. "Ein paar saftige Details über einige Politiker wurden bekannt, inhaltlich stellte sich nur wenig nach der Lektüre anders dar als ohnehin schon bekannt. Sonst ist nichts weiter passiert. Das Unangenehmste an Wikileaks für die Vereinigten Staaten ist bisher, dass die Dokumente Zweifel an der amerikanischen Kompetenz aufkommen lassen könnten." (Christoph Prantner aus Davos /DER STANDARD, Printausgabe, 29.1.2011)