In England konnten Benediktinermönche ihre Idee einer für alle offenen Schule nicht durchsetzen. Auf der Bischofssynode in Rom hätte man sie besser verstanden. Die forderte eine Erziehung zur Gerechtigkeit. Kurt Remele fragt nach einer Schule im Geiste Jesu.

Foto: Uni Graz

Ampleforth ist ein kleiner, malerischer Ort im englischen Yorkshire. Die dort seit 1802 ansässige Benediktinergemeinschaft betreibt das Ampleforth College, eine Privatschule, die als katholisches Pendant zum weltlichen Elite-Internat Eton gilt. Nicht nur die feinen katholischen Leute der britischen Inseln, sondern auch der internationale katholische Adel schickt seinen Nachwuchs nach Ampleforth, und sogar einige wohlbetuchte Familien aus Österreich, die sich die exorbitanten Schulgebühren leisten können. (Falls Sie es wissen wollen: Ja, auch in Ampleforth haben Mönche Schüler sexuell missbraucht.)

Im vergangenen Mai lernte ich die Klosterschule und das Internat kennen. Ein freundlicher junger Mann aus Wien, der das College seit zwei Jahren besuchte, erklärte mir, dass ihn seine Eltern nach Ampleforth geschickt hätten, weil er an seinem Gymnasium große Schwierigkeiten in Mathematik gehabt habe. An seiner neuen englischen Schule sei die Lernbetreuung wesentlich besser als in Österreich, außerdem sei es möglich, bestimmte Fächer abzuwählen. Dies befähige ihn, die Schule in England problemlos abzuschließen.

Ich konnte den jungen Mann und seine Eltern gut verstehen. Auch ich fand die Gebäude und die Klassenräume, das Fächerangebot und die Atmosphäre von Ampleforth College attraktiv. Auch ich hätte Mathematik in der gymnasialen Oberstufe gern abgewählt. Trotzdem blieb ein ungutes Gefühl.

Denn über der vordergründigen Idylle von Ampleforth schwebte eine unabweisbare Frage: Ist es sozial gerecht, wenn wohlhabende Eltern ihre Kinder, die am österreichischen Schulsystem scheitern, an eine elitäre englische Klosterschule schicken können, während finanzschwache Eltern sich mit schulpolitischer Fantasielosigkeit, gewerkschaftlichen Betonköpfen, Vorwürfen der Lehrerschaft und dem Schulabbruch ihrer Kinder abfinden müssen?

Man kann diese Frage im Anschluss an die Ausführungen von Karl Heinz Gruber im Standard vom 21. Jänner so formulieren: Verträgt sich der Erhalt einer Eliteschule mit der egalitären Botschaft Jesu Christi?

Anfang der 1970er-Jahre begannen einige jüngere Mitglieder der Abtei daran zu zweifeln, dass es die Hauptaufgabe ihres Ordens sei, sich der Erziehung und Ausbildung von Kindern aus der Oberschicht zu widmen. Sie erblickten darin einen Widerspruch zum jesuanischen und benediktinischen Ideal von Geschwisterlichkeit und Einfachheit.

In Ampleforth konnten sich die jungen Mönche nicht durchsetzen. Auf der internationalen Bischofssynode, die sich zur gleichen Zeit in Rom mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit auseinandersetzte, hätte man sie besser verstanden. Die dort versammelten Bischöfe forderten nämlich eine "Erziehung zur Gerechtigkeit", bei der die Kirche mit gutem Beispiel vorangehen müsse. "Die Kirche hat so zu leben und ihre Güter so zu verwalten", ist im De justitia in mundo betitelten synodalen Schlussdokument zu lesen, "dass das Evangelium den Armen verkündet wird. Erscheint die Kirche dagegen als eine, die es mit den Reichen und Mächtigen hält, dann büßt sie dadurch an Glaubwürdigkeit ein."

Mit prophetischen Worten klagten die Bischöfe ein gesellschaftliches System an, in dem die Ökonomisierung aller Lebensbereiche voranschreite und ein "engstirniger Individualismus" Schulen und Massenmedien dominiere. Eine wahrhaft menschliche Erziehung dagegen zeichne sich dadurch aus, dass sie junge Menschen zu kritischem Nachdenken über die Gesellschaft und die in ihr geltenden Werte befähige.

De iustitia in mundo ist eines der bemerkenswertesten Dokumente der katholischen Soziallehre. Liest man seine Aussagen aufmerksam, wird man nicht umhinkönnen, den Text als deutliche Absage an kirchliche Privilegien zu begreifen und als implizites Plädoyer für eine hervorragend ausgestattete und zu kritischem Denken befähigende Gesamtschule. (DER STANDARD-Printausgabe, 29./30.1.2011)