Es ist selbstverständlich nicht das, was die ägyptischen Demonstranten als Ausgang ihrer Revolte wollten und wollen. Aber die Ernennung eines Vizepräsidenten ist ein erster Schritt - der in ihrem Sinn nur funktionieren wird, wenn ein zweiter folgt. Und dieser müsste der Rückzug von Präsident Hosni Mubarak sein. Nur so macht der erste Schritt Sinn.

Noch ist nicht klar, wer am Wochenende eigentlich die Initiative ergriff: War es Mubarak, der die Armee auf die Straße und in die Politik rief, oder waren es die Militärs, die sich selbst einbrachten? Allerdings ist im Grunde genommen beides eins: Mubarak ist einer der ihren und umgekehrt, auf seinem Ticket spielt die Armee ihre Rolle, macht ihre Geschäfte, agiert als der reich bedachte Partner der USA in deren nahöstlichem Sicherheitsgefüge.

Und diese Rolle will sie auch behalten: sicher viel lieber, ohne dass sie sich direkt gegen Mubarak, ihren Mubarak, wendet. Vielleicht setzt sie wirklich noch auf ihn - der Preis, unter diesen Umständen die Ruhe wiederherzustellen, könnte sehr hoch, sehr blutig werden und wiederum ihrem gesellschaftlichen Selbstverständnis widersprechen. Man sollte aber auch ihre Kapazität zum Aussitzen nicht unterschätzen.

Vielleicht kommt die Armee aber auch zum Schluss, dass sie ohne Mubarak besser dran ist. Dann wird man ihn "überzeugen". Omar Suleiman hätte die Aufgabe, das Land in Wahlen zu führen, die - aus Sicht der Armee - wieder einen der ihren nach oben bringen sollte. Suleiman selbst ist zu sehr belastet, aber einer wie der neue Premier Ahmed Shafiq - der auch einige zivile Managementerfahrung hat - oder der Feldmarschall Tantawi könnten einspringen. Und dass die Ägypter jetzt sehen, was Revolution auch bedeutet - Vandalismus und Plünderung -, hilft diesem Plot mehr, als es ihm schadet.

Ob so eine Rechnung aufgeht? Auch andere sichere Sieger fehlen derzeit auf der Szene: Die demokratische Opposition ist zersplittert, Mohamed ElBaradei ein Elitenprogramm, auch wenn er durch Al-Jazeera ein Sprachrohr hat; der Arabische-Liga-Chef Amr Mussa, der das Potenzial hätte, Wahlen zu gewinnen, hat sich noch nicht eingebracht. Sogar die Muslimbrüder, die wahrscheinlich stärkste Kraft, präsentieren sich gespalten, unsicher und ohne charismatische Führungspersönlichkeit.

Aber sie agieren klug: Sie gestehen ein, dass sie nicht die treibende Kraft beim Aufstand waren, und sprechen sich dafür aus, dass ElBaradei im Namen der Opposition mit dem Regime verhandelt. Abgesehen davon, dass man mit ElBaradei wohl erst nach Schritt zwei - dem Wegfall Mubaraks aus der Gleichung - reden wird, denn er hat sich viel zu weit gegen den Präsidenten persönlich herausgehängt: Dem Westen, der sich vor einer islamistischen Herrschaft in Ägypten fürchtet, nimmt es den Wind aus den Segeln, wenn die Muslimbrüder ElBaradei den Vortritt lassen.

Man muss nicht gleich an die von den Islamisten gestohlene Revolution im Iran denken, bei der ja auch zuerst Säkulare vorgeschickt wurden: Aber dass die Muslimbrüder bei den nächsten halbwegs freien Wahlen mitspielen werden und durch ihre Dominanz über die Moscheen ein großes Mobilisierungspotenzial verfügen, ist ja wohl klar. Wobei Spaltungen in pragmatischere und radikalere Trends wahrscheinlich sind - und all diese Unwägbarkeiten sind im Moment die einzige Sicherheit, die es in Ägypten gibt. (Gudrun Harrer, STANDARD-Printausgabe, 31.01.2011)