Bregenz - Als man 2004 die schlechten österreichischen Pisa-Ergebnisse diskutierte, forderte der Vorarlberger Schullandesrat Siegi Stemer (VP) regionale Tests. Man möge doch die Kirche im Dorf lassen, umschrieb der frühere Turn- und Geografielehrer seine Zweifel an der Übertragbarkeit der Österreich-Ergebnisse auf Vorarlberg. Nun hat er seine regionalen Testergebnisse und ist "enttäuscht" und "ernüchtert". Die Schülerinnen und Schüler im äußersten Westen sind nicht - wie insgeheim erwartet -, besser, sondern noch schlechter als der österreichische Durchschnitt.

Die am Montag vom Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) präsentierte Studie kommt zum Ergebnis, dass es 29 Prozent der Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 1993 an Lesekompetenz mangelt. Für den ersten Regionaltest in Österreich wurden 1450 Schülerinnen und Schüler aus 61 Schulen geprüft.

29 Prozent (Österreich: 28 Prozent), rund 1500 des Schülerjahrgangs, können nur unzureichend sinnerfassend lesen. 35 Prozent der Burschen und 21 Prozent der Mädchen gehören zur Lese-Risikogruppe und laufen, so die Studienverfasser, "Gefahr, nicht vollständig am beruflichen und sozialen Leben teilnehmen zu können". Lesen als Hobby ist bei über der Hälfte der Jugendlichen verpönt. 56 Prozent geben an, nicht zum Vergnügen zu lesen. "Schuld" am schlechten Ergebnis sei aber, so Haider, nicht der hohe Anteil von Migrantenkindern (17 Prozent, Österreich: 15 Prozent), denn: "Zwei Drittel der Risikogruppe sind einheimisch."

Die Risikogruppen in Mathematik (23 Prozent) liegen um Österreich- und OECD-Schnitt, in Naturwissenschaften ist in Vorarlberg wie in Österreich jeder fünfte Jugendliche gefährdet, den Anschluss zu verpassen.

Das Angebot regionaler Tests ging, so Bifie-Direktor Günter Haider, an alle Bundesländer, aber nur Vorarlberg und Tirol hätten Interesse gezeigt. Die Tiroler Ergebnisse, dem Vernehmen nach gleich trist, werden am Donnerstag präsentiert. Auf die Idee der regionalen Studien kam man, weil in Deutschland starke Unterschiede zugunsten von Bayern und Baden Württemberg festgestellt wurden.

"Wir sind halt nicht die Bayern Österreichs", ätzt der Obmann der Unabhängigen Bildungsgewerkschaft, Gerhard Rüdisser. Seine Hauptforderungen: die gemeinsame Schule für Sechs- bis 15-Jährige, zusätzliche Mittel von Bund und Land für eine gezielte Sprachoffensive in Kindergärten und Volksschulen und die universitäre Ausbildung für Kindergarten- und Grundschulpädagoginnen. "Denn", so Rüdisser, "die besten Lehrkräfte brauchen wir für die jüngsten Kinder."

Stemer will keine Strukturdiskussion: "Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren, das Lesen, Schreiben, Erzählen." Kein Kind sollte die Volksschule verlassen, ohne die Kulturtechniken "einigermaßen zu beherrschen". Man werde das Schul- und Kindergartenkonzept hinterfragen und "bedarfsorientiert" weitere Ganztagsschulen einrichten, verspricht der Landesrat. Kommenden Mittwoch wird der Landtag die Studie diskutieren. Thema der aktuellen Stunde auf Wunsch der VP: "Die richtige Interpretation der Pisa-Studie". (Jutta Berger, DER STANDARD, Printausgabe, 1.2.2011)