Wiener Neustadt - Erstmals Unterschiede in der Verteidigung und Schuldzuweisungen gegenüber dem damaligen Libro-Vorstand wurden am achten Tag des Libro-Prozesses im Landesgericht Wiener Neustadt erkennbar. Bis dahin hatten André Rettberg, Johann Knöbl und deren Aufsichtsratspräsident, UIAG-Chef Kurt Stiassny stets einträchtig den Markt, die Telekom Austria, die E-Commerce-Blase und die Wirtschaftskrise für die Libro-Pleite im Jahr 2001 verantwortlich gemacht.

Nur die Sonderdividende von umgerechnet 31,7 Millionen Euro, die Libro im Mai 1999 an ihre Eigentümer ausgeschüttet hat, war keinesfalls schuld. Sie brachte Rettberg, Knöbl und anderen Aktionären immerhin Vermögen (und Geld, ihre Darlehen zurückzuzahlen, die sie zwecks Libro-Kaufs von Billa-Gründer Wlaschek aufgenommen hatten. Libro aber brachten sie, wie die Staatsanwaltschaft vorhält, eine buchmäßige Überschuldung ein, die eine Dividendenausschüttung nie und nimmer gerechtfertigt hätten. Da Libro auch noch massiv in Filialen in Deutschland und Österreich investierte und Millionen in das Internet- und E-Commerceportal Lion.cc steckte, verdoppelten sich die Bankverbindlichkeiten auf 117,5 Mio. Euro. Der erwartete Erlös aus dem Börsengang war bereits im Mai '99 bitter nötig.

Er sollte allerdings nicht so bald kommen. Denn die im Jänner '99 zwecks Vorbereitung der Emission am Neuen Markt an der Frankfurter Börse engagierte US-Investmentbank Goldman Sachs sprang im Mai 1999 ab, also wenige Wochen vor dem angepeilten Börsengang. Die wahren Gründe für die Flucht der Goldmänner sind nicht überliefert. Die Sonderdividende war es laut Rettberg, Knöbl und Stiassny nicht. Vielmehr sei Libro zu klein und im schnelllebigen aufstrebenen E-Commerce-Geschäft nicht bewährt genug gewesen für die deutsche Tecno-Börse, wie Stiassny sinngemäß sagte.

Statt Goldman Sachs wurde im Sommer Credit Suisse First Boston (CSFB) engagiert. Sie (und ihre Konsortialbanken RZB, Deutsche Bank und Erste Bank) störte sich nicht daran, dass Wirtschaftsprüfer KPMG im August 1999 - knapp drei Monate vor dem Gang an die Wiener Börse - vor "buchmäßiger Überschuldung" warnte. Diesen "limited Review" will allerdings keiner der Angeklagten je gesehen haben. Er sei im Auftrag von Goldman Sachs erstellt worden,

Zahlungs- und Lieferstopps waren zu diesem Zeitpunkt bei Libro bereits auf der Tagesordnung. Aber nicht weil kein Geld mehr da gewesen sei, wie Rettberg betonte, sondern weil man "Zahlungsziele erwirtschaften" habe müssen. Schließlich seien Lieferantenkredite billig, weil zinsenlos.

Laut Stiassny haben neben dem Markt auch Management-Fehler in die Pleite geführt. Der Vorstand, Rettberg, habe das Filialkonzept geändert und auf weniger ertragreiche Großraumfilialen gesetzt. "KPMG hat gesagt: Die Geschäftspläne sind optimistisch, aber erreichbar." (ung, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.2.2011)