Es war eine Sternstunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Im Sinne von: Lichtjahre entfernt von Standards eines zeitgemäßen, kritischen Journalismus. "Karl-Heinz Grasser - Opfer oder Täter?": Allein schon die Diskussionsfrage der ORF-Talksendung Im Zentrum war in Stunden, da Ägypten Geschichte schreibt, eine glatte Themenverfehlung, fern eines Bildungsauftrags und ausschließlich inspiriert vom Quotengift.
Gut, da saß er also wieder mal in seinem liebsten Setting, von Scheinwerfern umgeben. Lässig und im Wissen, dass er sie im Griff hat, die kleine Talkrunde: PR-Experte Wolfgang Rosam, der gleich zu Beginn von Grasser als Freund ("Geh, Wolfi!") decouvriert wurde, Politikwissenschafter Peter Filzmaier, der versuchte, Grasser auf einer theoretischen Metaebene zu fordern und Staatsanwalt Gerhard Jarosch, der zum Fall nichts sagen durfte. Was sollte das? Was hat den ORF abgehalten, in der Sache firme Printjournalisten, die dem Ex-Finanzminister seit Jahren auf der Spur sind und alle Windungen der Causa kennen, einzuladen? Jemanden, der mit Grasser Tacheles und zur Sache redet?
So aber konnte Grasser den sterbenden Schwan geben. Der Narziss mit dem Goldmund faselte alle in gewohnter NLP-Manier nieder und durfte im letzten Showteil sogar noch die Nummer mit dem Fanbrief bringen. Er sei, habe ihm eine Frau geschrieben, "zu jung, zu intelligent und zu schön" für diese "Neidgesellschaft".
Und ja, moderiert wurde das Grasser-Varieté auch - von einer überforderten Ingrid Thurnher, die dem "Schönen, Intelligenten, Jungen" im Namen des ORF diese große Opferbühne bot.
Ein gelungener Abend: für Grasser und für die Quote. (Walter Müller, DER STANDARD; Printausgabe, 1.2.2011)