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Starkes Wachstum und vorsichtige Öffnung: In den vergangenen Jahren hatte Ägyptens Wirtschaftspolitik bei der EU und dem Internationalen Währungsfonds einen guten Ruf. Die Proteste haben die Anleger jetzt alarmiert, die Ratingagenturen haben ihre Meinung über die Proteste bereits kundgetan.

Ratingagenturen schätzen Stabilität. Wie sehr haben in den vergangenen Tagen Tunesien und Ägypten hautnah mitbekommen. Wegen der anhaltenden Proteste setzte es für beide Staaten ein Downgrade. Die Agentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit Ägyptens am Montag auf "Ba2" herab, die Prognose wurde von stabil auf negativ gesenkt. Schon vergangene Woche war Tunesien dran. Die Begründung im Falle Ägyptens: Um die Unruhen zu beenden, könnte die Regierung versucht sein, die Bürger mit teuren Geschenken, wie etwa weiteren Preisstützungen für Benzin, zu beruhigen. Das hätte negative Auswirkungen auf das Budget.

Dabei ist Ägypten in den vergangene Jahren zu einem Liebkind internationaler Finanzorganisationen geworden. Es stimmt schon: Das Land ist arm. Ägypten rangiert auf der UN-Liste für menschliche Entwicklung auf Platz 101 von 169 Staaten. Ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung (fast 40 Prozent der Frauen) kann nicht lesen und schreiben. Insbesondere die OECD kritisiert seit Langem fehlende Investitionen in den Bildungssektor.

Allerdings hat die Führung um Präsident Hosni Mubarak zuletzt die wirtschaftliche Öffnung geprobt. Bereits vor der Krise wurden erste Privatisierungsversuche in der ansonsten vom Staat dominierten Wirtschaft gemacht. So wurde die viertgrößte Landesbank (Bank of Alexandria) ebenso an Investoren verkauft wie einige Staatsbetriebe. 2004 schlossen EU und Ägypten ein Assoziationsabkommen, in welchem die schrittweise Öffnung des gegenseitigen Waren- und Kapitalverkehrs festgelegt wurde. Ägypten senkte daraufhin seine Importzölle.

Die Öffnung fand vor dem Hintergrund einer rasant wachsenden Wirtschaft statt. Zwischen 2006 und 2008 wuchs das Bruttoinlandsprodukt jährlich um sieben Prozent. Auch die Krise hat das Land, nicht zuletzt wegen des schwach vernetzten Finanzsektors, gut überstanden.

Allerdings ist bei den Zahlen Vorsicht geboten, warnt Kurt Altmann, Österreichs Handelsdelegierter in Kairo: "Die gute Performance auf dem Papier kommt nicht unbedingt bei den Menschen an." Als eines der größten Probleme Ägyptens gilt ausgerechnet das unglaubliche Potenzial des Landes. Die Bevölkerung wächst rasant, bis zu 700.000 Menschen drängen pro Jahr neu auf den Arbeitsmarkt. "Keine Regierung der Welt kann so viele Jobs schaffen", sagt Altmann. Die offizielle Arbeitslosenzahl liegt unter zehn Prozent, die Dunkelziffer dürfte aber weit höher sein.

Antriebskraft der Wirtschaft ist die Gasproduktion. Seit 1998 wurde die Erdgasproduktion verdreifacht. Über die Arab Gas Pipeline werden Syrien und Jordanien beliefert, eine Abzweigung führt nach Israel. Exportiert wird aber auch in die USA und nach Japan. Die OMV ist Österreichs größter Investor vor Ort.

Zweitwichtigster Devisenbringer ist der Tourismussektor, in dem mehr als zwei Millionen Menschen arbeiten. Als Folge der Krise kamen allerdings weniger Besucher. Drittwichtigste Einnahmequelle des Staates sind die Durchfahrtsgebühren aus dem 1956 verstaatlichten Suezkanal. Nach einem Rückgang des Schiffsverkehrs 2009 meldeten Behörden 2010 wieder eine Normalisierung.

Die Proteste und Unruhen haben die Märkte voll erwischt. Der Marktwert der börsengehandelten Firmen im FTSE Egypt 30 Index ist um ein Viertel gesunken. Die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen sind gestiegen.

Doch kurzfristig läuft Ägypten nicht Gefahr in eine Zahlungsbilanzkrise zu schlittern. Das Land verfügt laut Zentralbank über Reserven von 26,2 Milliarden Euro. Das ägyptische Pfund, das an den US-Dollar gekoppelt ist, hat sich in den vergangenen Tagen auch wenig bewegt.

Die Citigroup hält eine schwerwiegende Störung der Wirtschaft für unwahrscheinlich. Doch das Bankensystem könnte bei anhaltenden Protesten in den Fokus rücken. Die Frage ist auch, wie viel Kredite an Familien und Unternehmen rund um Mubarak vergeben wurden. Im Falle eines breiten Umsturzes müssten diese Forderungen wohl abgeschrieben werden. (szi, sulu, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.2.2011)