Geschichten brauchen Gesichter, damit sie medial "fahren". Dieser journalistische Lehrsatz gilt umso mehr, wenn ein Korruptionsverdacht im Raum steht. An passenden Gesichtern hat es Österreich in den vergangenen Monaten nicht gemangelt. Ganz oben auf der Liste steht Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Nach der Buwog-Affäre sorgen Grassers Stiftungen in Liechtenstein, in denen er drei Millionen Euro geparkt haben soll, für Aufregung. Die Finanzbehörden ermitteln, ob diese Konstruktionen rechtmäßig waren.
Doch der Fall Grasser ist auch jenseits juristischer Aufarbeitungen interessant, weil er den Blick auf ein viel grundlegenderes Problem ermöglicht.
Finanzplätze wie Liechtenstein, Schweiz und die Kanalinseln bieten reichen Kunden seit Jahrzehnten steuerschonende Anlagemodelle an. Was diese Länder so interessant macht, ist ihre Hyperdiskretion. Dabei geht es nicht nur um das Bankgeheimnis. In Liechtenstein kann ein Stifter völlige Anonymität genießen. Übernimmt ein Treuhänder die Anmeldung, muss er über die wahren Eigentumsverhältnisse nicht einmal das Finanzamt in Vaduz informieren. Von einem Eintrag in ein öffentliches Stiftungsregister ist hier noch nicht einmal die Rede.
Diese Diskretion schätzten auch andere „Gesichter" jüngster Finanzaffären. Bei Grasser-Freund Walter Meischberger, AvW-Boss Wolfgang Auer-Welsbach, gibt es ebenso eine Liechtenstein-Connection wie beim Waffenlobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly. In Liechtenstein werden tausende österreichische Stifter vermutet. Abgesehen davon, ob dabei Recht übertreten wird oder nicht: Die entscheidende Frage ist, warum einige Finanzplätze auf ihre Intransparenz so erpicht sind. Weil durch sie die Vermögensverhältnisse im Binnenmarkt für die Finanzämter unüberblickbar werden - und davon profitieren diese Oasen. Selbst wenn ein Straftäter auffliegt, gestalten sich die Ermittlungen (Stichwort Hyperdiskretion) schwierig. Und: Völlig legale Konstruktionen laden Anleger geradezu zum Missbrauch ein.
Es stimmt schon: Besonders Deutschland hat nach Ausbruch der Finanzkrise Druck auf Schattenfinanzplätze gemacht. Die Zahl der Abkommen über den Austausch von Steuerinformationen ist so hoch wie noch nie. Aber der Druck ist inzwischen gewichen. So glanzvoll wie präsentiert ist die Entwicklung freilich nicht, denn Steueroasen haben gegenseitig Datenaustauschabkommen fixiert, was den Verdacht nahelegt, dass kein Licht ins Dunkel kommen soll.
Österreich spielt bei der Trockenlegung der Steuervermeidungssümpfe eine besonders unrühmliche Rolle. Dank einer Richtlinie aus 2005 melden in der EU heute 25 von 27 Staaten Zinserträge natürlicher Personen über die Grenzen hinweg ans Nachbarland. Nur Luxemburg und richtig, Österreich, melden nichts. Österreich blockiert sogar, dass die EU-Kommission Abkommen über den Austausch von Steuerinformationen mit Liechtenstein, der Schweiz, San Marino, Monaco und Andorra schließen kann. Wären diese Abkommen unter Dach und Fach, würde die innereuropäische Ausnahme vom Datenaustausch auch für Wien nicht mehr gelten.
Wenn SPÖ- und ÖVP-Politiker auf Grasser hinhauen, müssen sie sich den Vorwurf der Scheinheiligkeit gefallen lassen. Denn sie halten auf EU-Ebene seit Jahren jene Tür zu, hinter der sich echte Fortschritte im Kampf gegen Steuerhinterziehung verbergen. (András Szigetvari, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.2.2011)