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Handycam, Twitter, Facebook ...

Foto: Victoria Hazou/AP/dapd

... wie auch Al-Jazeera sind der moderne Teil des Umbruchs in Ägypten, ...

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... der aber auch mit ganz anderen Mittel ausgefochten wird.

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Robert Misik: Neue Chancen gegen alte Ängste.

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Ich verbringe in diesen Tagen wie viele andere auch viele Stunden am Tag vor dem Live-Stream von Al-Jazeera, wo man bisher jedenfalls in Echtzeit dabei sein konnte, wie Geschichte geschrieben wird. Mit der Umsturzbewegung in Ägypten erleben wir - nach der demokratischen Revolution in Tunesien - den zweiten Akt des erstaunlichen "arabischen Frühlings". Oder des "1989 der Araber".

Und das ist packend und begeisternd: Bürgerrevolutionen in wichtigen arabischen Ländern hatte doch kaum jemand von uns auf den Radar. Man hat die Bevölkerungen als frustriert und apathisch beschrieben oder gar als leicht manipulierbar von Autokraten und Islamisten. Und jetzt das.

Die junge Generation in den Städten ist wohl nicht so viel anders als 18-, 19-jährige Oberschüler oder Studentinnen im Westen. Sie haben dieselben Wünsche. Und sie leben dank des Internets auch tatsächlich im selben Orbit.

Vielleicht haben Internet und soziale Medien eine viel dramatischere Auswirkung auf das allgemeine Bewusstsein, als wir bisher annahmen. Als Tool der Information in Gesellschaften, in denen man früher nur mit Gerüchten vorlieb nehmen musste. Als Forum, in dem sich eine Generation die freie öffentliche Rede antrainierte, während ihre Elterngeneration noch das Schweigen erlernte.

Man kann da lange darüber räsonieren, aber letztlich auch nur spekulieren, und auch die sogenannten Experten wissen in Wirklichkeit gar nichts: Denn zu viel ist da offenbar in den vergangenen ein, zwei Jahren in Bewegung geraten, und das Expertenwissen bezieht sich oft auf lange, historische Erfahrungen, die aber möglicherweise von jüngsten gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen dramatisch überholt wurden, ohne dass die "Experten" das überhaupt bemerkt haben.

Worüber ich mich wundere, ja, mehr: was mich regelrecht empört, ich kann mich da richtig aufregen darüber, ist da so eine Stimmung in nicht wenigen Milieus, die lautet: Um Gottes Willen, aber wie gefährlich ist die Instabilität? Da wird doch eh nichts draus bei den Arabern! Die handeln sich wahrscheinlich jetzt nur eine Mullah-Diktatur ein! Waren doch eh kommod die säkularen Autokraten!

Das ist moralisch so verkommen, als hätte man 1989 Václav Havel, Jens Reich und den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die ihre verrotteten Regimes satt hatten, geraten, sie sollten sich doch bitte weiter Honecker, Husák und den anderen graugesichtigen Herren unterwerfen, man wisse doch nicht, was da rauskommt - wer weiß, vielleicht sogar ein böser Kapitalismus oder ein kriegsgeiles wiedervereinigtes Deutschland (tatsächlich haben ja auch damals einige Leute so reagiert).

Aber eine solche Haltung zeugt nicht nur von Verkommenheit, sondern auch von völligem Desinteresse an der realen Wirklichkeit. Denn wer sich nur ein bisschen mit der gegenwärtigen arabischen Bürgerbewegung befasst, der stellt schnell fest, dass irgendwelche "Islamisten" eine viel geringere Rolle spielen, als man annehmen konnte.

Die Leute wollen Demokratie und Freiheit, keine Mullahs. Ja, manches deutet sogar darauf hin, dass der Einfluss der Islamisten, wie etwa der ägyptischen Muslimbrüder, geschwunden ist. Bisher waren sie die einzigen Stimmen der Zivilgesellschaft in geknebelten Gesellschaften. Insofern haben die Autokraten die Islamisten sogar stark gemacht. Aber jetzt sind neue Akteure entstanden, und das schafft eine ganz neue Situation.

Die Dinge sind dramatisch in Bewegung, und das ist eine historische Chance. Menschen ändern sich, wenn sie erstmals in Freiheit atmen. Und das heißt ganz simpel auch: Kein Mensch weiß natürlich, wie das ausgeht.

Jetzt sehen wir eine urbane Mittelschicht, die die Autokraten hinwegfegt. Möglich, dass freie Wahlen dann zur Ernüchterung führen. Wer weiß schon, wie die einfachen Bauern im Nildelta ticken. Aber wie gesagt, kein Mensch weiß es. Es ist eine große Chance.

Das Risiko nehmen

Gewiss, Chancen können auch scheitern. Aber nur, weil dieses Scheitern auch eine Möglichkeit ist, soll man sich an die Stabilität klammern, die stets das beste Argument ist, das die Diktatoren für sich ins Treffen zu führen wissen? Nein, aber wirklich nicht.

Woran es unseren skeptischen Misepetern fehlt, ist politische Vorstellungskraft, Möglichkeitssinn. Aber dies ist nicht nur Folge simpler Fantasielosigkeit, sondern es hat auch einen rassistischen Kern. Von der Art: Demokratie bei den Arabern, das klappt ja nie. Die sind zu blöd dazu oder sonst wie unfähig. Die Muslime lieben es, wenn man sie drangsaliert. Sie laufen gern den Autokraten nach. Wie mies das alles ist!

Wenn Gesellschaften, wenn freie Bürger ihre Dinge in die Hand nehmen und neu regeln wollen, dann ist das natürlich immer ein Schritt ins Ungewisse. Und das Ungewisse birgt auch Risiken. Das war immer so in der Geschichte, und ohne das hätte es nie Fortschritt gegeben, Demokratie wäre nie irgendwo eingeführt worden.

Denn dass die Demokratie gefährlich ist, dieser Einwand ist so alt wie das Freiheitsstreben der Menschen. Er kam immer von jenen, die sich an die Stabilität klammerten. Hätten unsere Vorfahren auf sie gehört, wir würden immer noch in Leibeigenschaft leben, geknebelt vom Klerus, unter der Knute der Fürsten. (Robert Misik, STANDARD-Printausgabe, 04.02.2011)