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Rücken- und Kopfschmerzen zählen zu den Favoriten unter den chronischen Schmerzensyndromen.

Foto: APA/Jens Meyer

Der chronische Schmerzpatient ist ein Verlierer. Er funktioniert nicht, ist anstrengend, ängstlich und unglücklich. Heldenhaft erduldet er jedoch oft stillschweigend seine Qualen. Nicht nur, weil permanenter Schmerz in der Gesellschaft wenig Anerkennung findet, sondern auch, weil ihn die Hoffnung auf ein größeres Ganzes trägt. Die großen Weltreligionen bieten dafür ausgezeichnete Argumente. Alles Leiden endet im Nirwana, glauben die Buddhisten, während die Christen Schmerzen als Weg zur Erlösung betrachten. 

Neben diesem religiösen Zugang stellt sich aber die Frage: Ist ein geschundener Körper vielleicht doch für etwas gut? Tatsächlich ist Schmerz per se nicht nur schlecht. Insbesondere in seiner akuten Form schützt er den menschlichen Organismus, egal ob er mit bloßen Füssen auf einen Nagel tritt oder aber heißes Wasser berührt. Er zeigt uns eine drohende oder bereits eingetretene Schädigung. Und das Beste daran: In der Regel klingt akuter Schmerz ab, sobald die Ursache beseitigt wird.

Ausschalten statt aushalten

Ganz anders der chronische Schmerz. Er hat seine Signalfunktion und damit seinen Nutzen verloren. Zwar besitzt er längst den Status einer eigenen Erkrankung, medizinisch betrachtet gilt er jedoch als vollkommen sinnlos. Ausschalten statt aushalten, lautet daher heute das Credo der Schmerzmediziner. 

Wenn es so einfach nur wäre. Obwohl die Schmerzforschung mehr denn je boomt und Schmerzambulanzen allerorts aus dem Boden sprießen, ist der chronische Schmerz eine medizinische Herausforderung geblieben. Das Problem: Schmerz ist nicht nur ein physisches, sondern vielmehr ein psychosoziales Phänomen. Nozizeptive Nervenimpulse werden im Gehirn sehr individuell interpretiert. Emotionen, Einstellungen, Erfahrungen spielen in der Schmerzwahrnehmung eine entscheidende Rolle. Wird der Schmerz zum Mittelpunkt des Lebens, dann sind die Folgen für die Betroffenen zweifelsohne fatal.

Akzeptanz und Zeit

Das Krankheitsbild Schmerz ist komplex und verlangt dringend nach mehr Akzeptanz und viel Zeit für seine Bewältigung. Zeit, die es häufig nicht gibt, weil die Krankenkassen unter anderem nicht fürs Reden bezahlen. Die Dauer eines durchschnittlichen Arzt-Patienten-Gespräches liegt nicht zuletzt deshalb auch hierzulande unter zehn Minuten. Mehraufwand an Zeit ist teuer und macht die Schmerztherapie zu einer unbezahlbaren Dienstleistung. Keine adäquate Schmerztherapie, kommt den Staat aber keineswegs billiger. Denn die Häufigkeit von Spitalsaufenthalten und Krankenstandtagen ist in der schmerzgeplagten Bevölkerungsgruppe - die in Österreich immerhin 23 Prozent ausmacht - extrem hoch.

Damit hat interdisziplinäres Schmerzmanagement längst seine Berechtigung als eigener postgradualer Universitätslehrgang erworben. Moderne Schmerztherapeuten schneidern heute nach Maß. Neben gängigen medikamentösen Behandlungsmethoden bieten sie ihren Patienten Gesprächstherapien, Schmerzbewältigungsstrategien und verschiedene Entspannungstechniken an.

Musik lindert Schmerzen

Die Kombination Entspannung, Ablenkung und Stimmungsverbesserung soll auch unter der Musiktherapie zur Schmerzlinderung führen. Die Anwendung von Musik zu Heilzwecken ist nicht ganz neu, sondern besitzt eine bis in antike Hochkulturen reichende Geschichte. Relativ neu aber noch nicht restlos erforscht, ist aber die Erkenntnis, wie das Hören bestimmter Musik eine Schmerzhemmung erzeugt. Mit Hilfe bildgebender Verfahren wurde sichtbar gemacht, dass Musik auf subcorticalen Areale, insbesondere auf das limbische System, im Gehirn starken Einfluss besitzt. In diesem Zentrum wird unter anderem der Grad psychischer Zustände reguliert und - davon gehen Experten aus - auch die emotionale Lust beim Hören von Musik ermöglicht. 

„Mit Hilfe von Musik finden Schmerzpatienten zu einer positiv hoffnungsvollen Haltung", bringt es Günther Bernatzky, Neurobiologe und Präsident elect der Österreichischen Schmerzgesellschaft ganz unwissenschaftlich auf den Punkt. Die Verschaltung neuronaler Strukturen im Detail zu erklären, führt hier zu weit. Davon abgesehen bringt die Komplexität des Gehirns auch Neurowissenschaftler noch immer ins Grübeln und den Schmerzpatienten vermutlich nicht viel.

Die vier Ws

Für die Betroffenen ist das gesundheitliche Ergebnis entscheidend. „Die Frage in der Musiktherapie muss lauten: Welche Musik hat auf welchen Menschen unter welchen Umständen welche Wirkung", erklärt Bernatzky, der sich seit Jahren intensiv mit der Wirkung von Musik auf den Menschen beschäftigt. Richtlinien zur korrekten Musikwahl müssen ganz individuell betrachtet werden. Wichtig ist die persönliche Vorliebe. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass auf viele Schmerzpatienten geringe Lautstärke, langsames Tempo, wenige Lautstärkeveränderungen und Tempowechsel eine beruhigende Wirkung zeigen. Wogegen Morbus Parkinson Patienten im Sinne einer Aktivierung eher mit größerer Lautstärke, schnellem Tempo und häufigen Lautstärkeveränderungen geholfen ist. 

Egal ob die Patienten einfach nur zuhören (rezeptive Musiktherapie) oder aber sich dazu entscheiden aktiv zu musizieren (aktive Musiktherapie), die Reduktion von Angst, Schmerz, Schlaflosigkeit und körperlicher Anspannung sprechen in den meisten Fällen für sich.
Ganz schmerzfrei werden chronische Schmerzpatienten unter dem Einfluss der Musiktherapie häufig nicht. Die Verbesserung ihrer Lebensqualität macht sie aber trotzdem zu Gewinnern. (derStandard.at, 08.02.2011)