Die Grünen im Europaparlament wollen Ungarn im Streit um das Mediengesetz mit einem Grundrechteverfahren drohen. Der Chef der Grünen-Fraktion, Daniel Cohn-Bendit, sagte am Mittwoch in Brüssel, die ungarische Medienbehörde (NMHH) "ist ein Problem für uns, weil sie ein politisches Organ ist". Ko-Vorsitzende Rebecca Harms sagte, allem Anschein nach wolle es sich Ungarn bei der Reparatur des Gesetzes "zu leicht machen".
In einem Entwurf der Grünen für einen Entschließungsantrag, über den das Europaparlament nächste Woche in Straßburg abstimmen soll, wird auf die Möglichkeit des EU-Parlaments verwiesen, nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union ein Verfahren einzuleiten, "um festzustellen, ob ein klares Risiko für einen ernsthaften Verstoß Ungarns in Hinblick auf Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union, wie Achtung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, vorliegt".
Cohn-Bendit betonte allerdings: "Mein Ziel ist eine Reform des Mediengesetzes, nicht Artikel 7." Die institutionelle Kontrolle müsse unabhängig von politischen Parteien sein. "Das ist sei keine linke, sondern vielmehr eine liberale Position: Hände weg von den Medien."
Gleichzeitig räumten die Grünen ein, dass Medienfreiheit auf europäischer Ebene derzeit nicht umfassend geregelt ist. Die EU-Kommission wird in dem Entwurf aufgefordert, bis zum Jahresende einen europäischen Gesetzesvorschlag über Medienfreiheit, Pluralismus und unabhängige Steuerung zu machen. Damit sollten "Unzulänglichkeiten des EU-Rechtsrahmens" überwunden werden, die EU-Kommission sollte sich auf ihre Kompetenzen in den Bereichen Binnenmarkt, audiovisuelle Politik, Wettbewerb, Telekommunikation, staatliche Beihilfen, Verpflichtung zu öffentlichen Dienstleistungen und Grundrechten für jedermann auf EU-Gebiet berufen, um zumindest Mindeststandards für Informationsfreiheit, angemessenen Medienpluralismus und unabhängige Medienkontrolle festzusetzen.
"Keine Grundlage für ein EU-Grundrechtsverfahren"
Der deutsche CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber warnte am Mittwoch in Brüssel davor, dass sich das Europaparlament in die gegenwärtigen Gespräche zwischen der EU-Kommission und der ungarischen Regierung in Form einer Resolution einschalte. Die ungarische Regierung habe klar ihre Bereitschaft zur Änderung des Mediengesetzes zum Ausdruck gebracht. Der von der für digitale Medien zuständigen EU-Kommissarin Neelie Kroes an Ungarn gerichtete Brief mit konkreten Kritikpunkten an dem Gesetz zeige, dass es sich auch "um eine große politische Show von Sozialisten, Grünen und Liberalen" handle, um eine Regierung aus den Reihen der Europäischen Volkspartei (EVP) zu attackieren. Es gebe keine Grundlage für ein EU-Grundrechtsverfahren gegen Ungarn.
Ungarn müsse europäische Werte achten, jedoch habe die EVP zunächst einmal volles Vertrauen in das demokratisch gewählte ungarische Parlament und in die Gerichte des Landes. Pressfreiheit sei auch in Ungarn ein Grundrecht, betonte Weber. Erst wenn dies nicht funktioniere, sollte die EU einschreiten. "Wir haben keinen Big Brother Europa."
Die EU-Kommission hat Änderungen an dem strittigen Gesetz nach der EU-Richtlinie für audiovisuelle Medien verlangt. So kritisiert die EU-Behörde etwa, dass sich die Verpflichtung zu ausgewogener Berichterstattung auch auf Videoblogs und On-Demand-Medien beziehe, und dass die in dem Gesetz vorgeschriebene Registrierungspflicht für Medien zu weit ausgelegt sei. Die EU-Kommission hat allerdings mehrfach betont, dass sie zur Überprüfung der Unabhängigkeit der Medienbehörde keine Rechtsgrundlage hat, weil die EU-Richtlinie zwar Unabhängigkeit vorschreibe, aber dafür keine Kriterien gebe. Kritiker des Mediengesetzes werfen dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban vor, mit dem Gesetz die Pressefreiheit weitgehend zu beschneiden, nachdem alle Mitglieder der Medienbehörde der regierenden Fidesz-Partei nahe stehen und für neun Jahre ernannt sind.
Cohn-Bendit kritisierte auch die Möglichkeit der Medienbehörde, Strafen über Medien zu verhängen, was es sie seiner Meinung nach in keinem anderen EU-Land gebe. Der Fraktionschef der liberal-grüne Oppositionspartei LMP in Ungarn, Andras Schiffer, sagte, die Konzeption der Medienbehörde gehe weitgehend auf einen ähnlichen Entwurf der früheren sozialistischen Regierung zurück, den diese aber mangels Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht durchgebracht habe. "Das Vorhaben von Fidesz ist in einem ganz traditionellen Sinne sozialistisch", meinte Cohn-Bendit. (APA)