Bild nicht mehr verfügbar.
Der gut aufgelegte Kevin Spacey gibt in J. C. Chandors "Margin Call" den gesetzten Veteranen der Finanzwelt.
Sein starbesetzter Film ist aktuell, er thematisiert schließlich die noch frische Finanzkrise der letzten Jahre.
Bei den Pressekonferenzen der Berlinale ist der Andrang dieser Tage groß. Auf die True Grit-Equipe folgten weitere prominente Gäste aus den USA. Statt mit Anekdoten wurde man vom Podium zu J. C. Chandors Margin Call mit anderem überrascht: Man habe, so einer der Produzenten, das Projekt verantwortungsvoll finanziert. Und man möge, so Schauspieler Jeremy Irons, doch bitte den Wert eines Films nicht immer an Kosten und Einspielergebnissen in Millionenhöhe festmachen.
Dass man beim Eröffnungsfilm des Wettbewerbs schnell an viel Geld und Verantwortung denkt, liegt am Thema: Margin Call beginnt buchstäblich am Vorabend der Finanzkrise 2008. Ein junger Analyst einer Investmentbank an der Wall Street entdeckt den bedrohlichen Riss im Fantasiegebäude der Finanzwelt. Seine Prognose ist gravierend genug, um spätnachts Entscheidungsträger einzuberufen. Es besteht akuter Handlungsbedarf, der Boss gibt schließlich die Direktive aus, wonach man, wenn nichts mehr zu retten ist, wenigstens der Erste sein muss, der die giftigen Papiere abstößt.
Der Film erzählt diese Geschichte zügig, aber ohne forcierte Getriebenheit: Die Kamera ist nah am Geschehen. Der Film ist ruhig montiert, selbst der Musikeinsatz ist zurückhaltend, und so stehen vor allem Unternehmenskultur und Lifestyle, Verhaltensweisen, Codes und Sprache der Banker im Zentrum des Films.
Auf einer Bühne aus Großraumbüros und Konferenzsälen, Tiefgarage, Hochhausdach und Executive Lounge werden Positionen verhandelt, unterschiedliche Typen ein wenig profiliert - ohne psychologisierende Zuspitzungen oder einfache Täter-Opfer-Schematik. Margin Call ist eines von mehreren Debüts im Wettbewerb. Der US-Amerikaner Chandor, der vorher TV-Dokus und Werbefilme gedreht hat, konnte seine Geschichte mit einer Riege von Schauspielstars umsetzen: Stanley Tucci darf wieder mehr sein als der lustige Sidekick von Cher oder Meryl Streep. Kevin Spacey gibt den gesetzten Veteranen, der sich noch einmal aufrafft. Jeremy Irons den Chef, der Härte und Pragmatismus in vollendete Konversationskunst kleidet.
Auch Paul Bettany, Zachary Quinto und der Ensemblerest bewähren sich auf der großen Leinwand. Und nebenbei erfüllt Margin Call so auf ganz unpeinliche Weise das Bedürfnis der Berlinale nach internationalem Glanz und echten Hollywoodstars auf den roten Teppichen der Stadt. (Isabella Reicher aus Berlin / DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.2.2011)