Zuerst sah es noch so aus, als würde der Machtwechsel in Ägypten einen in der Verfassung vorgesehenen Weg gehen. Auch wenn es Hosni Mubarak in seiner Rede am Donnerstag nicht so gesagt hatte, gingen viele Beobachter davon aus, dass Artikel 82 der Verfassung zur Anwendung gekommen sei: Der Präsident übergibt seine gesamten Befugnisse dem Vizepräsidenten. Aus der "temporären" Verhinderung des Präsidenten würde eine permanente, und der Vizepräsident, also Omar Suleiman, würde als Wegbereiter für eine neue Ordnung fungieren, unter der die nächsten Wahlen stattfinden.

Allerdings darf der Vizepräsident, während er die Amtsgeschäfte führt, laut Verfassung Folgendes nicht tun: Er darf nicht die Verfassung ändern - und nicht die Regierung entlassen und das Parlament auflösen. Ein Armeerat, wie er jetzt am Zug ist, kann das freilich ohne Probleme.

Eine Verfassungsänderung ist für einen Neustart unabdingbar, und Mubarak selbst nannte sechs Artikel, die prioritär novelliert beziehungsweise ganz abgeschafft werden müssen. Jeder kritische Ägypter kennt zumindest die ersten beiden auswendig. Der berüchtigte Artikel 76 regelt die Zulassung von Kandidaten bei Präsidentschaftswahlen: Unter ihm wäre es etwa den Oppositionellen Mohamed ElBaradei und auch dem jetzigen Arabische-Liga-Chef Amr Moussa gar nicht möglich, bei Wahlen anzutreten. Artikel 77 besagt, dass es keine Beschränkung von Amtszeiten gibt - Mubarak beendete bekanntlich seine fünfte knapp nicht mehr.

Artikel 88 und 93 beschäftigen sich mit dem Parlament - in 93 wird zum Beispiel dem von der Regimepartei dominiertem Abgeordnetenhaus das Recht zugesprochen, mithilfe anderer willfähriger Institutionen einzelne Parlamentsmitglieder hinauszuwerfen.

Artikel 189 hat das Prozedere bei Verfassungsänderungen zum Inhalt, er enthält etwa die Klausel, dass über jede Verfassungsänderung abgestimmt werden muss (was bisher immer eine Farce war). Was aus diesem Artikel wird, ist mit besonderer Aufmerksamkeit zu betrachten. Völlig abgeschafft werden soll Artikel 179: Die hier festgeschriebene Terrorismusschutz-Verpflichtung des ägyptischen Staates wurde missbraucht, um gegen politische Opposition vorzugehen. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 12.2.2011)