(Zum Vergrößern)

"Ice-Storm": Ein raumbeherrschendes Objekt zwischen Kunst und Architektur bildet das Auge des Ausstellungstaifuns "Zaha Hadid. Architektur"; ab heute im MAK.

Foto: MAK

Wien - Die britisch-irakische Architektin Zaha Hadid verfügt über eine jener Ausnahmepersönlichkeiten, die raumfüllend sind. Wo sie steht, vibriert die Umgebung. Hadid, groß, schwer, extravagant, ist ein Erdbeben von einer Frau, ihre Architekturen entsprechen dieser Vitalität.

In den vergangenen Wochen bekam das Wiener Museum für angewandte Kunst die Kräfte der multitalentierten Künstlerin in angewandter Form zu spüren: Im Rahmen der Ausstellung "Zaha Hadid. Architektur" - der übrigens bisher größten Gesamtschau der prominenten Architektin - gestaltete sie ein Raumobjekt mit dem Titel Ice-Storm und erfüllte mit einem gewaltigen Morphingprodukt in Form styroporener und kunststoffüberzogener Zapfen und Wellen einen gesamten Raum.

Neue Wohnformen

Die Skulptur soll, so Kokurator Rüdiger Andorfer, als "gebautes Manifest" verstanden werden, als eine "neue Form des Wohnens". Doch wohnlich im herkömmlichen Sinn ist hier gar nichts. Das bizarre Ding verweist womöglich auf neue Wohnwelten, die da (wieder) einmal kommen werden; auf Räume, deren Böden, Wände, Decken sich mit Aus- und Einstülpungen zu Möbelartigem entwickeln.

Derweilen vermag das Objekt vor allem skulpturale Atmosphäre zu schaffen: Es demonstriert, wie sich ein Raum einverleiben lässt, doch auch das ist letztlich spätestens seit Friedrich Kiesler nichts ganz Neues.

Neu sind die Werkzeuge, der Computer, die Morphingprogramme - und neu ist vor allem der Wille, mit dem Raum wieder zu spielen, die letzte Dynamik aus ihm herauszuholen.

Der Eissturm ragt bekletterbar übermannshoch empor, er zieht sich über Wände und Boden, die Installation spielt mit den Effekten verschiedener Grauabstufungen und kühl temperierter Belichtungen. Der Betrachter muss genau aufpassen, ob er gerade Licht-Schatten-Spielereien auf den Leim geht oder ob die verwirrenden Grau-Schlieren wahrhaftig aufgepinselt sind.

Dieser Sturm ist ausstellungstechnisch betrachtet das Zentrum eines Taifuns. Die Schau rotiert gewissermaßen um dieses Auge und veranschaulicht anhand vieler Bilder und Modelle den Werdegang Hadids, beginnend mit den späten 70er-Jahren.

Die Anfänge, das waren atemberaubend dynamische Gemälde utopischer Architekturen, faszinierende Kunstwerke in Acryl, hauchzart auf Karton gepinselt. Hadid zerriss das Herkömmliche, stell- te ihre Häuser quasi in den Windkanal, brachte eine Rasanz in ihre Entwürfe, wie sie wohl keiner ihrer Kollegen bis dato zustande gebracht hat.

Major Paintings

"Major Paintings" nennt sie diese Bilder auf meist schwarzem Hintergrund - und wer die Gemälde bisher nur aus Publikationen kannte, wird bei der Livebetrachtung noch neue Dimensionen darin entdecken. "Der Pinsel hat eine andere Sensibilität als der Bleistift", sagt MAK-Chef Peter Noever, "die Gemälde vermitteln eine andere Dimension von Empfindungen und Gefühlswerten."

Nach langen Jahren an der Spitze der Architekturtheorieavantgarde realisiert Hadid nun weltweit ein Haus nach dem anderen. In Rom baut sie ein Kunstmuseum, ein anderes in Wolfsburg; das Contemporary Art Center in Cincinnati wird im Mai eröffnet; das BMW-Zentralgebäude in Leipzig ist in Bau; die Verbauung der Wiener Stadtbahnbögen soll im Herbst begonnen werden. Und wie es ausschaut, wenn Hadid-Architektur vor Ort konstruiert wird, veranschaulichen großformatige Fotos: Die Betonschalungen der Baustelle in Wolfsburg etwa wurden millimetergenau in Form gefräst.

Mittlerweile vermischen sich in Hadids Londoner Büro die Disziplinen. Renderings werden computergeneriert - sie ähneln den Malereien, beweisen aber, dass die Maschine kaum je dieselbe Ausdruckskraft zustande bringt. Deshalb greift die Architektin immer wieder zum Pinsel. Die neuen "Major Paintings" sind - wenn möglich - noch feiner, und sie sind ebenfalls hier zu sehen.

Formfurie

Die reduziert und gut gestaltete Ausstellung mischt gekonnt Fiktion und wahrhaftige Projekte und zeigt so den Werdegang einer durchaus polarisierenden, faszinierenden Formfurie. Sehenswert. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.5.2003)