Max Lercher ist mit 24 der jüngste Abgeordnete im Steirischen Landtag.

Foto: Sissi Furgler

Bei der Abstimmung zum Bettelverbot im Grazer Landtag hat der SPÖ-Abgeordnete Max Lercher als einziger seiner Fraktion dagegen gestimmt (derStandard.at berichtete). Darüber, ob er damit auch schon das Ende seiner politischen Karriere eingeleitet hat, über den Parteiapparat, der viele "abstumpft" und die "traurige Wahrheit" sprach er mit Katrin Burgstaller.

derStandard.at: Sie haben gestern als einziger der 23 SPÖ-Abgeordneten im Steirischen Landtag gegen das Bettelverbot gestimmt und sich somit dem Klubzwang widersetzt. Welche Reaktionen hat das bei Ihren Parteikollegen hervorgerufen?

Lercher: Das waren keine bösen Reaktionen. Es ist einfach so, dass das auch unkollegial von mir war. Das war von mir nicht die feine Klinge.

derStandard.at: Bereuen Sie es?

Lercher: Nein, denn ich war jahrelang in einem Bündnis, das sich gegen das Bettelverbot eingesetzt hat. Diese Meinung vertrete ich auch jetzt noch, nach meinem Einzug in den Landtag.

derStandard.at: Wie fühlt man sich, wenn man als einziger sitzen bleibt?

Lercher: Das war irgendwie total heavy und man hofft, dass es bald vorbei ist. Das Gefühl kann man gar nicht beschreiben.

derStandard.at: Haben Sie mit diesem Akt auch schon das Ende Ihrer politischen Karriere eingeleitet?

Lercher: Das glaube ich nicht. Die steirische SPÖ ist eine Partei, die das verkraften kann. Deshalb bin ich auch in der SPÖ.

derStandard.at: Landeshauptmann Voves hat vor den Landtagswahlen gesagt, er würde sich nichts mehr wünschen, als dass Sie in den Landtag einziehen können. Denken Sie, dass sich seine Meinung nun geändert hat?

Lercher: Nein, das denke ich überhaupt nicht. Franz Voves hat das Bettelverbot gestern in seinem Schlussstatement doch auch sehr kritisch reflektiert und auf den 'jungen Abgeordneten' Bezug genommen. Deshalb denke ich, dass er nicht so erbost ist.

derStandard.at: Wenn Voves das Bettelverbot in seinem Schlussstatement kritisch reflektiert hat, warum hat die SPÖ das dann überhaupt mitgetragen?

Lercher: Die traurige Wahrheit ist, dass auch in der SPÖ der Großteil der Parteigänger momentan für solche Gesetze ist. Das ist eine Wahrheit, die man als Linker akzeptieren muss. Die Partei hat das Bettelverbot nun schon seit drei Jahren diskutiert und wollte zu einem Schluss kommen. Man hat geglaubt, das ist der beste Weg. Für mich war das nicht der beste Weg. Schlussendlich hat sich eine Mehrheit für das Bettelverbot gefunden. Ich glaube, dass es sich alle nicht einfach gemacht haben.

derStandard.at: Wenn Sie sich die Sozialdemokratie insgesamt ansehen, wo sind ihre größten Herausforderungen?

Lercher: Der Schlüssel wird sein, dass wir wieder glaubwürdig sind. Auf Landesebene kommt man immer dann unter Druck, wenn auf Bundesebene die nötigen Visionen fehlen. Auf Bundesebene weiß ich, dass mit bestem Wissen und Gewissen gearbeitet wird. Trotzdem fehlt uns eine Vision, die wir glaubhaft vermitteln können und die für die Menschen wieder annehmbar ist. Durch die FPÖ und durch Boulevardmedien wird ein sehr feindliches Menschenbild gegenüber Fremden vermittelt.

derStandard.at: Was könnte eine solche Vision sein?

Lercher: Dass wir bedingungslos dafür stehen, dass ein Arbeiter heute auch noch genug zum Leben hat und dass wir nach wie vor für Verteilungsgerechtigkeit eintreten.

derStandard.at: Sie haben einmal gesagt, in der Politik gibt es zu viele Ja-Sager. Kommen die Falschen an die Spitze?

Lercher: Mittlerweile weiß ich, dass alles nicht so einfach ist, wie ich mir das gedacht habe. Vor unserem Landesvorsitzenden Franz Voves habe ich den größten Respekt. Wir verlieren aber viele gute Leute auf den Ochsenweg, den sie von unten nach oben gehen müssen. Für die Machtpositionen bleiben dann oft Menschen übrig, die vielleicht nicht so prädestiniert dafür sind.
Wir müssen als Partei die Gesamtgesellschaft wiederspiegeln und Leute holen, die gut sind und nicht jene die ausharren. Es soll nicht sein, dass man durch einen Parteiapparat abgestumpft wird. Oft werden auch Leute aufgebaut, die immer Ja sagen. Aber es ist eine große Stärke von Führungskräften, wenn sie nicht nur Ja-Sager in ihre Nähe holen. In der steirischen SPÖ haben Sie immer gewusst wie ich bin.

derStandard.at: Sie glauben, die Politik wird sich ändern?

Lercher: Ja, denn es wird so viel auf uns zukommen. Die Zeiten gebieten es, dass man eine andere Art der Politik einschlägt. Dass man die Hick-Hack-Formen hinter sich lässt und nicht mehr mit Brachialpopulismus arbeitet. Denn die Menschen haben das satt. Die Politik muss darauf reagieren.

derStandard.at: Man wirft der Jugend oft vor, politikverdrossen zu sein. Ist sie das?

Lercher: Ich sehe keine Politikverdrossenheit der Jugend. Wir haben die SJ in der Steiermark in den letzten Jahren um 250 Prozent vergrößert. Es kommt auf die Performance der Politik an. Wenn sie für die Jugend nichts tut, kann Verdrossenheit aufkommen. Aber ich glaube auch, dass 40- bis 50-Jährige in diesem Maße verdrossen sind.

derStandard.at: Würden Sie wieder sitzen bleiben, wenn es wieder um eine Abstimmung geht, die Sie nicht mittragen wollen?

Lercher: Daran möchte ich gar nicht denken, denn ich bin gestern um drei Jahre gealtert. Ich wünsche mir eine solche Situation überhaupt nicht mehr. Ich habe Vertrauen, dass wir einen guten sozialdemokratischen Weg gehen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 16. Februar 2011)