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Kathrin Zettel, die Zweite, und Marlies Schild, die Slalomweltmeisterin, hatten auch nach dem Rennen zu kämpfen. Mit der rot-weiß-roten Fahne, die nicht wollte, wie sie sollte. Zettel: "Silber ist für mich fast wie Gold." Schild: "Gold ist für mich ein Traum."

 

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Josef Schild, Landwirt, Skilehrer.

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Garmisch-Partenkirchen - Wann haben Sie beschlossen, dass Marlies Skirennläuferin wird?, frägt man Josef Schild. "Das ist nicht von mir beschlossen worden. Bei uns in der Familie bewegen sich alle gern in der freien Natur. Der Entschluss, dass es zum Beruf wird, kommt von den Kindern. Da wird nie etwas angeschafft."

Die Schilds, Rosi und Josef, betreiben eine Landwirtschaft in Saalfelden. Er ist staatlich geprüfter Skilehrer, Bergsteiger und Bergretter, auch sie ist Skilehrerin. "Bis zum 15. Lebensjahr haben wir für die Skiausbildung der Kinder gesorgt."

Marlies (29), die Slalomweltmeisterin, hat drei Geschwister. Bernadette (21), die zwar den WM-Kader schmückte, aber in Garmisch-Partenkirchen nicht zum Einsatz kam, Lukas (18), der das Skigymnasium in Saalfeden besucht, Josef (30), der bis 2005 Europacuprennen fuhr, ehe er sich verletzte, Sport studierte und nun die Rennschule der Schilds leitet, Schild Schiracing. "Ob Lukas ebenfalls Weltklasse wird, das wissen wir nicht. Das Grundtalent hat er. Der Rest ist Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit." Und alle zwei Jahre hinterfrage man. "Gibt es noch einen Sinn, spürst du es noch, hast du noch eine Freude damit, kannst du überhaupt Weltklasse werden?"

Das Problem nahezu aller Skifahrer ist die Gesundheit. "Das Risiko ist in den vergangenen Jahren durch die breiteren Ski noch höher geworden." Aber Marlies, wirft man ein, hat ja schon Zores gehabt mit dem Knie, als die Ski noch gar nicht so breit waren. Schild: "Das größte Problem hast du mit den großen Talenten, die fangen mit 14, 15 an, schnell Ski zu fahren. Die Muskulatur ist trainiert, aber die Sehnen haben noch nicht die Stärke, sie halten die Belastung nicht aus. Wir selbst haben das auch zu wenig verstanden damals."

"Nicht alles dem Erfolg opfern"

Mit 15 erlitt Marlies Schild ihren ersten Kreuzbandriss. "Dann waren zwei Kleinigkeiten mit dem Meniskus. Im Dezember 2000, kurz vor der WM in St. Anton, als sie voll durchgestartet wäre, ist sie in Chamonix ausgerutscht. Bei einem Europacuprennen hat es ihr in einem Schneehaufen den Haxen umgedreht, das hintere Kreuzband ist gerissen. Da haben wird uns schon gefragt, ob es noch einen Sinn macht. Es gibt ein Leben nach dem Sport. Du kannst nicht alles dem Erfolg opfern."

Knapp ein Jahr Pause. "Im September 2001 sind wir dann schon wieder Ski gefahren." Marlies schaffte es in die Olympiamannschaft 2002, wirkte erstmals bei einem Großereignis mit, schied im ersten Slalomdurchgang aus. Bis Samstag hatte sie es inklusive Teambewerb auf neun Medaillen bei Olympia oder WM gebracht. Und beim Slalom auf dem Gudiberg gewann sie als Topfavoritin ihre erste Goldene. Mit einem Nagel im linken Bein.

Im Oktober 2008 passierten ihr im Training ein Trümmerbruch des Schien- und Wadenbeins und ein Bruch des Schienbeinkopfes. Mehr als ein Jahr Pause. Im Dezember 2009 und in Lienz begann sie wieder zu siegen. Mittlerweile hält sie bei 28 Weltcuperfolgen, 26 im Slalom, einem im Riesenslalom, einem in der Kombi. "Eine akribische Arbeiterin, für uns alle ein Riesenvorbild", sagt der Papa. "Sie ist enorm konsequent, sagt nie, das Wetter passt mir nicht, heut freut's mich nicht."

Wenn die Kinder daheim sind, essen sie, "was wir in unserer Landwirtschaft produzieren. Naturbeef, Gemüse, Salat. Die Kälber werden mit zehn Monaten geschlachtet, wir haben acht Mutterkühe, keine große Geschichte."

Als Marlies auf die Welt kam, erzählt Josef, "haben vier Generationen unter einem Dach gelebt. Und wir waren uns gegenseitig Vorbild. Mit drei Jahren bekam jeder eine Aufgabe." Was war die Aufgabe von Marlies? "Sie ist mit der Oma die Hühner füttern gegangen."

"Kein Gameboy, keine Computerspiele"

Marlies ist zu ihrem Freund Benjamin Raich gezogen, Bernadette ist beim Ausziehen. "Aber die Dirndln haben ihre Zimmer daheim. Wenn sie in der Gegend trainieren, sind sie oft da." Josef erinnert sich an früher. "Bei uns daheim hat es keinen Gameboy gegeben, keine Computerspiele. Wir haben eine große Kinderbibliothek, das ist besser für die Fantasie. Und wir haben uns oft gemeinsam bewegt, sind Bergsteigen gegangen, haben Abenteuerurlaube gemacht, waren in Kanada mit dem Kanu unterwegs. Alles tolle Geschichten. Mit acht war Marlies am Großglockner."

Nach dem Sieg habe Marlies zu ihm gesagt: "Jetzt haben wir es geschafft. " Josef: "Du lebst nur vom Erfolg. Und leben tut nur der Erste. Schau die Marlies an. Wenn die hier nicht gewinnt, heißt es, schon wieder nur Silber, schon wieder vernebelt, sie bringt's nicht runter. Die Rosi und ich waren nervös wie noch nie."

Kathrin Zettel, die Zweite, und Marlies Schild, die Slalomweltmeisterin, hatten auch nach dem Rennen zu kämpfen. Mit der rot-weiß-roten Fahne, die nicht wollte, wie sie sollte. Zettel: "Silber ist für mich fast wie Gold." Schild: "Gold ist für mich ein Traum."(Benno Zelsacher, DER STANDARD Printausgabe, 21.2.2011)