Die Kirche von Hostice, von jener Seite aus gesehen, wo noch immer die ärmsten Roma leben.

Foto: Vinzenzgemeinschaft

Hostice - "Sie kommen aus Graz? Ich wünsche ihnen alles Gute!" Kaum jemand in der knapp 1000 Einwohner zählenden Gemeinde Hostice in der Slowakei, dem der Name der steirischen Landeshauptstadt nicht ein flüchtiges Lächeln auf die Lippen zaubert.

In Graz hingegen ist Hostice seit vielen Jahr ein Synonym für Armut. Mit "den Leuten aus Hostice" sind jene Roma gemeint, die von hier aber auch Nachbargemeinden wie Simonovce, Gemerské Dechtáre, Sútor, Pavlovce, Martinova oder Chrámec zum Betteln an die Mur kommen. Doch die wenigsten Grazer wissen, welch hohes Ansehen ihre Stadt sechs Autostunden entfernt genießt. Und zwar nicht nur, weil Pfarrer Wolfgang Pucher und seine Vinzenzgemeinschaft hier Hilfsprojekte initiierten und die Bettler in Graz seit 15 Jahren beherbergen.

Freundliche Menschen

Warum Graz? "Unsere Leute", erzählt Frantisek Rácz, der seit Jänner Bürgermeister von Hostice ist, in seinem bescheidenen Büro im Gemeindeamt, "gingen vor Jahren auch nach Linz oder Salzburg, aber die Grazer waren freundlich und sie gaben nicht nur Geld, sondern auch Essen und Kleidung." Das sprach sich bald herum unter den Roma, die fast zwei Drittel der Bevölkerung in Hostice ausmachen, dass sie ungarisch Gesztete nennen. Auch Rácz ist Rom, wie sein Amtsvorgänger und Schwiegervater, der selbst in Graz bettelte. "Hätten wir hier Arbeit, würden alle zu Hause bleiben", sagt er.

Die Roma gehören in der Slowakei zu den größten Verlierern der Wende. Im Kommunismus wurde auf den fruchtbaren Böden rund um ihr Dorf Gemüse für die ganze Region angebaut. Egal, mit wem man spricht, alle sehnen sich nach der Zeit zurück, in der man wenigstens Essen und geheizte Unterkünfte hatte.

95 Prozent Arbeitslosigkeit

Heute liegen die Böden brach: Auch von denen, die etwas eigenes Land besitzen, können sich die meisten nämlich nicht einmal den Samen leisten. Die Roma im Ort sind zu 95 Prozent arbeitslos. Rácz rechnet vor, dass eine vierköpfige Familie (mehr als zwei Kinder haben hier entgegen gängiger Klischees nämlich wenige), mit einer Sozialhilfe von maximal 384 Euro auskommen muss - Zuverdienste durch Gemeinschaftsarbeit schon mitgerechnet.

Der Bürgermeister selbst arbeitet auch als Sozialarbeiter und reinigt Sickergruben, während seine Frau in der örtlichen Volksschule unterrichtet. Das Paar will unbedingt, dass seine beiden Töchter eines Tages an einer Hochschule in Bratislava studieren können.

Projekte als Hoffnung

Es gibt Hoffnungschimmer, die zeigen, mit wie wenig Aufwand hier geholfen werden kann. Einige arbeiten in der Nudelmanufaktur der Vinzenzgemeinschaft: Ein kleines Einfamilienhaus in Hostice, in dem acht Frauen "Vinzipasta" von Hand machen, die in Österreich verkauft wird. Oder der Vinzishop im Dorf, in dem Arme sich Gewand um maximal 66 Cent pro Stück kaufen können, und wo Marijana aus Hostice ein paar Stunden Arbeit in der Woche fand.

In einem anderen Projekt, das von der "Direkthilfe Roma" aus Mödling mit der Vinzenzgemeinschaft betrieben wird, produzieren Romni aber auch zwei sogenannte weiße Frauen eingelegte Gurken. Gläser, Samen und der Transport nach Österreich wird von den Helfern finanziert. Jede der Frauen produzierte im Vorjahr 1000 Gläser. "Es ist nicht viel, was ich dafür kriege, aber es ist Geld", freut sich die Romni Erzsébet.

Straßen in die Vergessenheit

Doch während sich hier eine Pfarre und einzelne Menschen engagieren, scheint die EU auf die Region vergessen zu haben. Das merkt man schon an der Qualität der Straßen, je tiefer man in den Osten fährt. "Seit dem Beitritt kam es für uns noch schlimmer, als nach der Wende", sagt etwa die Nicht-Romni Anna, die auch Essiggurken produziert. Bis 2004 konnte Anna wenigstens Zuckerrüben im eigenen Garten anbauen und an die Zuckerfabrik in Rimavská Sobota verkaufen. "Doch als man dort EU-Löhne zahlen sollte, wurde die Fabrik vom österreichischen Agrana-Konzern geschlossen." Bahn- und Busverbindungen zogen sich mit Landwirtschaft und Industrie sukzessive zurück. Die Menschen blieben.

Hostice hat durch ausnahmslos nichtstaatliche Hilfe noch das bessere Los im Vergleich zu Nachbargemeinden gezogen. Es gibt eine Schule, einen Kindergarten, 26 neue Sozialwohnungen und einen ärztlichen Dienst. Doch auch hier sind Gehsteige längst weggebrochen, Bushaltestellen aus dem Kommunismus stehen windschief verlassen am Straßenrand, das Dach der Kirche zum Heiligen Andreas, dessen Kreuz auch das Stadtwappen ziert, ist desolat.

Wie es weitergehen soll, weiß Bürgermeister Rácz nicht. Als er hört, dass Grazer für den Verbleib bettelnder Roma demonstrieren, ist er gerührt. Dann sagt er: "Wir denken positiv, und sagen immer: Nächstes Jahr wird alles besser." (Colette M. Schmidt, DER STANDARD-Printausgabe, 22.2.2011)