Anton Schmid: Jugendliche nicht zum Sündenbock machen.

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Anmerkungen zum Standard-Bericht über die Campus-Wien-Studie zum Thema Jugendgewalt.

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Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe." Ob aus dem Munde eines Politikers oder von Passanten in der U-Bahn: Diese Aussage demonstriert punktgenau das gesellschaftliche Bild, das heute oft von "der Jugend" gezeichnet wird. Und dennoch ist die Quelle dieses Zitats alt. Sie entstammt einer Keilschrift aus dem Jahr 2000 vor Christus.

Anschauungen über den Habitus einer gesellschaftlichen Gruppe halten sich lange und beständig. So wurden Jugendliche schon immer gern zum Sündenbock gemacht und anhand von Problemen charakterisiert, deren Ursprung bei den Erwachsenen liegt.

"Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen." Niemand Geringerer als Aristoteles bediente sich dieses Kommentars. Sein Lehrmeister Platon beschrieb in dem Werk "Der Staat" jenes Phänomen, das heute vor allem zwischen den Generationen ausgetragen wird: "... die Schüler achten Lehrer und Erzieher gering. Überhaupt, die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat." 

Griechische Philosophie

Die Rebellion der Jungen gegen die Alten beschäftigte die griechischen Philosophen enorm. So kritisierte etwa Sokrates: "Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer." Doch was ist der Ursprung dieser Reibeflächen zwischen Jung und Alt, die seit tausenden von Jahren wiederkehren?

Keine Lust auf Generationenkonflikt

Ein Aspekt ist, dass sich Jugendliche heute nicht mehr auf diesen Generationenkonflikt einlassen. Wir haben eher eine Situation der Generationenignoranz seitens der Jugendlichen. Dennoch werden sie im öffentlichen Diskurs beständig als Komatrinker, Gewalttäter, Suchtabhängige, Risikojunkies oder Kriminelle betrachtet. Und wen wundert es daher, dass Jugendliche jene Verhaltensweisen, die sie zugeteilt bekommen, auch verinnerlichen und für sich legitimieren. Die ständig wiederkehrende politische Debatte, das Strafmündigkeitsalter weiter senken zu wollen oder die Kinderrechte nur marginal umzusetzen, schürt zusätzliche Verunsicherung.

Persönlicher Leistungsdruck steigt

Ein anderer Punkt ist, dass das gesellschaftliche Leben, die individuelle Autonomie und die soziale Arbeit zusehends an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen gemessen werden. Auch der persönliche Leistungsdruck ist gestiegen. So bemängeln 50 Prozent der 450.000 Elf- bis 14-Jährigen, dass sie nicht als Individuum, sondern nach ihrer Leistung bewertet werden. Die Folgen: 60.000 Jugendliche in Österreich sind Burn-out-gefährdet und 150.000 fühlen sich stark belastet*.

Eine differenzierte Auseinandersetzung mit jenen Aspekten, die Kindern Sorgen bereiten, sie einschränken und verunsichern, könnte dazu beitragen, Gewalt zu reduzieren und ein solidarisches Miteinander zu fördern. Eine wertschätzende Grundhaltung gegenüber den Jüngsten in unserer Gesellschaft ist dabei die Voraussetzung. (Anton Schmid, DER STANDARD-Printausgabe, 22.2.2011)