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Kaliformischer Goldmohn glänzt auf der Wiese wie auch im Labor: Grazer Chemiker haben die Arbeitsweise des Goldmohn-Enzyms entschlüsselt. Nun wird getestet, wie seine heilsamen Eigenschaften in der Medizin eingesetzt werden können.

Foto: Adam Jones/Visuals Unlimited/Corbis

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Ungefähr 10.000 Pflanzen werden heute für die Produktion medizinischer Wirkstoffe verwendet. Eine besonders effektive Gruppe pflanzlicher Inhaltsstoffe sind Alkaloide. Sie kommen im schmerzlindernden Morphium aus dem Schlafmohn oder im Antimalariamittel Chinin aus dem Chinarindenbaum vor. Diese komplexen chemischen Verbindungen entstehen durch die Kontrolle von Enzymen in der Pflanze.

Damit Chemiker die begehrten Substanzen im Labor nachbauen können, bedarf es eben dieser Pflanzenenzyme, die als Biokatalysatoren die nötigen chemischen Reaktionen einleiten und beschleunigen. Die synthetische Herstellung dieser Biokatalysatoren ist deshalb so wichtig, weil sie in der Natur nur in Minimalmengen vorkommen.

Biochemikern der TU Graz ist vor rund zwei Jahren gelungen, woran zahlreiche Forschergruppen weltweit gescheitert waren: Sie konnten aus dem für seine beruhigende Wirkung bekannten kalifornischen Goldmohn ein zentrales Enzym für die Herstellung der Alkaloide erstmals in ausreichenden Mengen für eine genaue Untersuchung des Reaktionsmechanismus produzieren. Gemeinsam mit Strukturbiologen der Grazer Karl-Franzens-Universität haben sie in der Folge Struktur und Arbeitsweise des sogenannten Berberin-Brücken-Enzyms (BBE) entschlüsselt. "Wir haben quasi ein Standbild von der Reaktion gewonnen, mit dem wir das Enzym bei der Arbeit beobachten können" , sagt Peter Macheroux vom Institut für Biochemie der TU.

Wertvolles neues Grundlagenwissen, auf das Forscher vom Chemie-Institut der Uni Graz aufmerksam wurden: "Dazu muss man wissen, dass der Biokatalysator aus dem kalifornischen Goldmohn die Bildung einer Kohlenstoff-Kohlenstoff-Verknüpfung (C-C-Verknüpfung) bewirkt" , erklärt der Chemiker Wolfgang Kroutil. "Eine für die organische Chemie extrem wichtige Reaktion, die man braucht, um bisher schwer zugängliche chemische Strukturen aufzubauen."

Auf ihrer Suche nach neuen C-C-Verknüpfungen haben sich die Chemiker also hoffnungsvoll dem erstmals in größeren Mengen zur Verfügung stehenden Enzym aus dem Goldmohn zugewandt. Ihre Ausgangsfrage war, ob das Berberin-Brücken-Enzym für die organische Chemie und damit auch für die Herstellung neuer medizinischer Wirkstoffe eingesetzt werden kann. "Man weiß, dass das BBE aus dem kalifornischen Goldmohn in der Natur eine Wirkstoffklasse bildet, die eine Reihe heilsamer Eigenschaften hat: Sie wirkt krampflösend, blutdrucksenkend, schmerzstillend und hilft Krebserkrankungen vorzubeugen" , sagt Wolfgang Kroutil. Kann man nun das entsprechende Molekül für die Pharmazie herstellen und modifizieren, lässt sich auch die heilende Wirkung verstärken.

Wirkstoffdesign

Aktuell arbeiten die Grazer Chemiker daran, unterschiedliche Wirkstoffe mit dem Goldmohn-Enzym herzustellen. Wie gut diese Substanzen tatsächlich wirken, wird unter anderem im steirischen Auftragsforschungsunternehmen JSW-Life Science getestet. Die Firma konzentriert sich vor allem auf die Austestung neuer Wirkstoffe für Medikamente gegen Alzheimer, Parkinson und Schlaganfall. "Hier werden Vortests durchgeführt, inwieweit die Substanzen eine schützende Wirkung auf Nervenzellen haben" , sagt Kroutil.

Parallel dazu versuchen die Forscher zurzeit auch, eine bei Schizophrenie einsetzbare Substanz zu synthetisieren. "Zu diesem Zweck müssen wir zunächst herausfinden, ob das Berberin-Brücken-Enzym diese Substanz überhaupt umsetzt" , sagt Kroutil.16 für die Medizin einsetzbare Substanzen wurden bereits mit dem Enzym getestet, immerhin acht davon haben die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Bis sie in Form von Medikamenten in den Apotheken zu kaufen sind, ist allerdings noch einiges an Forschungsarbeit zu leisten.

Dass die Suche nach Kohlenstoff-Kohlenstoff-Verknüpfungen eine der zentralen Fragen der modernen organischen Chemie aufgreift, macht übrigens die Vergabe des Chemie-Nobelpreises 2010 deutlich: Der wurde nämlich für die Entwicklung von C-C-Verknüpfungen vergeben. Diese C-C-Verknüpfungen kommen allerdings nicht auf einer biokatalytischen Basis zustande, sondern beruhen auf metallkatalytischen Methoden, bei denen Schwermetalle zum Einsatz kommen.

Reaktion ohne Schwermetalle

Ein großer wissenschaftlicher Vorstoß - allerdings mit einigen Schönheitsfehlern, ist doch die nötige Beteiligung der Schwermetalle ökologisch und gesundheitlich durchaus bedenklich. Außerdem sind die Bedingungen, unter denen bei metallkatalytischen Methoden gearbeitet werden muss, sehr speziell und damit kostenintensiv: Die chemischen Reaktionen laufen meist bei höheren Temperaturen und unter Druck sowie unter Sauerstoff- und Wasserausschluss ab.

Eine bedeutend umweltfreundlichere und kostengünstigere Alternative bietet dagegen die Biokatalyse mit ihren Katalysatoren aus der Natur, den Enzymen. Diese arbeiten bei Raumtemperatur, vertragen Wasser, kommen ohne toxische Metalle aus und sind - da der Natur entnommen - leicht und vollständig abbaubar. Es ist also äußerst verheißungsvolles wissenschaftliches Neuland, das die Grazer Forscher mit ihrer Entdeckung betreten haben. Das Interesse der Fachwelt ist entsprechend groß: So wurde die vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Forschungsarbeit kürzlich als "Very Important Paper" vom renommierten Fachjournal Angewandte Chemie veröffentlicht. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 23.02.2011)