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Probiotische Keime, die in Milchprodukten enthalten sind, werden wieder ausgeschieden.

Foto: REUTERS/HO

30 probiotische Joghurts von verschiedenen Herstellern sind derzeit am europäischen Markt. Sie sollen die Darmflora sanieren und zur Stärkung des Immunsystems beitragen.

"Es grenzt an Volksverblödung, mit einer Bakterienspezies die Darmflora beeinflussen zu wollen", kämpft Wolfgang Graninger, Leiter der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien, gegen den Probiotika-Hype an. Die Darmflora verfügt über 400 Bakterienarten in einer Konzentration 10 hoch12 pro Milliliter. Eine Vielfalt, an die probiotisches Trinkjoghurt nicht heranreichen kann. Darüber hinaus kämen die meisten Keime, die in größerer Menge getrunken werden, "hinten wieder raus", so der Experte.

"Der Darm schaut auf sich selbst"

Eine Restitution der Darmflora sei nur mit Produkten möglich, die eine ganze Reihe verschiedener Keime enthielten, die sich im Gegensatz zu Laktobazillen dauerhaft im Darm ansiedeln könnten. Die Zukunft der Wiederherstellung der Darmflora - etwa wenn nach einer Antibiotikatherapie das Bakterium Chlostridium difficile in Form von Durchfall die Regie übernimmt - sieht Graninger in einem Produkt mit mindestens 50 Bakterienstämmen. "Im Normalfall saniert sich die Darmflora aber selbst", betont er und plädiert: "Lasst euren Darm in Ruhe! Der schaut eh auf sich selbst".

"Bakterien lieben sich nicht"

"Bakterien lieben sich nicht. Sie leben in einer Konkurrenzgesellschaft. Und nur weil das so ist, steigt der Mensch gut aus", bestätigt Graninger. Die funktionierende Darmflora schützt effektiv gegen die Ansiedlung schädlicher Bakterien. Sobald gefährliche Bakterien, etwa Salmonellen, versuchen die Mukosa-Barriere zu durchbrechen und "im Blut spazieren zu gehen" (Graninger), werden sie vom gesunden Immunsystem abgewehrt.

"Das Immunsystem wird durch die Darmflora täglich trainiert, aber nicht allein durch probiotisches Joghurt. Alle glauben, dass diese kleinen süßen Joghurtpackungen die Immunität steigern. Im März 2009 wurde der Hersteller eines probiotischen Trinkjoghurt für die 'dreisteste Werbelüge des Jahres' mit dem 'Goldenen Windbeutel' ausgezeichnet. Bei einer Internet-Abstimmung kürten Verbraucher das Trinkjoghurt mit knapp der Hälfte der abgegebenen Stimmen zum Sieger. Mehr als 35.000 Teilnehmer hatten sich laut Verbraucherorganisation Foodwatch an der Wahl beteiligt."

Jedes Joghurt enthält von Natur aus probiotische Mikroorganismen, die die "Säuerung" der Milch bewirken. "In pasteurisiertem Joghurt werden die Keime allerdings durch Erhitzung zerstört", weiß Graninger. Aber auch lebende Milchsäurebakterien - die höchste Keimzahl hat ein japanisches Joghurt - überleben im Dickdarm nur begrenzt. Unabhängig von der Diskussion mit dem Immunsystem gehören fermentierte Nahrungsmittel wie Joghurt, Kefir, Sauerkraut oder Kimchi zur normalen Ernährung des Menschen.

Fremde mit positiver Wirkung

"Joghurtbakterien sind Fremde mit durchaus positiver Wirkung, die sich aber nicht im menschlichen Darm ansiedeln können", stellt auch Anita Frauwallner, Leiterin des Probiotischen Forschungsunternehmens Allergosan und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Probiotische Medizin (ÖPROM) klar. Wie bei anderen gesunden Lebensmitteln würden Darmschleimhaut und Darmflora zwar von ihnen profitieren, der Effekt halte aber nur an, solange diese Form der Ernährung beibehalten werde. Eine dauerhafte Ansiedlung von probiotischen Bakterien kann nur durch humane, lebensfähige und vermehrungsfähige Mikroorganismen erfolgen, die Milchsäure sowie andere lebenswichtige Substanzen produzieren und ein gesundes Mikroklima stimulieren.

Mikrobiom

Frauwallner differenziert: "Darmbakterien können tatsächlich in hohem Maße unsere Gesundheit beeinflussen, allerdings nicht jedes Bakterium in gleicher Weise." Manche sind für die Produktion von Immunzellen verantwortlich, andere für Vitamine, Enzyme oder Fettsäuren. Wieder andere vernichten aktiv krankmachende Keime. Die Gesamtheit der Keime wird als das "Mikrobiom der Menschen" bezeichnet. Frauwallner: "Sie essen, sie können miteinander kommunizieren, sie vertragen sich oder auch nicht - wie bei uns Menschen."

Biblisches Alter

Auf die Frage, ob es Sinn macht, probiotische Lebensmittel zu sich zu nehmen, antwortet Frauwallner mit einem klaren Ja: "Das ist, wie wenn Sie mich fragen, ob es Sinn macht Obst und Gemüse zu essen. Probiotische Bakterien sind schon immer ein Teil unserer gesunden Nahrung gewesen und bereits in der Bibel wird das hohe Alter Abrahams auf den Genuss gesäuerter Milch zurückgeführt." Die Wirksamkeit von probiotischem Brot oder probiotischer Schokolade bezweifelt Frauwallner allerdings.

Stabilität

Um als Probiotikum auf den Markt kommen zu können, muss Joghurt eine sehr hohe Anzahl dieser Keime nachweisen. "Spezielle, sehr stabile Bakterienstämme werden extra zugesetzt", erklärt Frauwallner. Die ÖPROM hat ihren wissenschaftlichen Beirat gebeten, Qualitätskriterien zu erstellen. "Die Apotheker kennen diese vielfach, der Konsument noch nicht, vor allem kann er sie nicht überprüfen", weiß die Expertin und nennt als Beispiel Stabilität: "Wesentlich ist, dass angegeben wird, wie viele probiotische Keime sich zum Zeitpunkt des Ablaufdatums eines Produktes noch darin befinden. Das ist nur bei sehr wenigen der Fall." (Eva Tinsobin/derStandard.at,28.02.2011)