Bild nicht mehr verfügbar.
Sicherheitskräfte nehmen einen Mann im Zentrum von Schanghai fest. Die Präsenz der chinesischen Polizei war am Sonntag nach einem zweiten Internet-Aufruf im ganzen Land deutlich gestiegen.
Im Liang-Ma Blumengroßmarkt werden selbst im Winter Orchideen aus allen Teilen Chinas verkauft. Jasmin-Sträucher aber sind nicht im Angebot. Nordchina liebt die duftenden Blüten weniger als der Süden. "Wir haben dafür keine Nachfrage. Erst ab Mai kriegen wir die Blüten", sagen die Verkäuferinnen. "In Peking ist die Zeit noch nicht für sie da."
Politisch hat "Jasmin" dagegen Hochsaison. Der Begriff ist im Internet zur von den arabischen Revolutionen übernommenen Chiffre für Forderungen von Bürgerrechtlern nach politischen Reformen geworden. Anonyme Aufrufe an die Öffentlichkeit über Mikroblogs und die chinesische US-Website Boxun.com, sich Sonntagnachmittag zum Jasmin-Stelldichein einzufinden, versetzen Pekings Polizei in nervösen Ausnahmezustand. Dabei steht nur Harmloses in den neuen Blogs, von denen immer noch keiner weiß, wer sie geschrieben hat, so wie schon am Sonntag davor. Alle sollen sich im Zeichen des Jasmin auf dem Platz vor der McDonald's-Filiale in der Haupteinkaufstraße Wang Fujing einfinden.
Diesmal haben die Behörden aber vorgesorgt. Die U-Bahn-Stationen wimmeln vor Polizisten. Hundertschaften haben sich über die Fußgängerzone der Wang Fuqing verteilt. Zufällig musste die Stadt auch noch den Platz vor dem Schnellimbiss wegen dringender Rohrarbeiten mit einer großen Baustelle versperren.
Zwei deutsche TV-Teams werden vorübergehend festgesetzt, damit sie nicht filmen können. Pekinger Journalisten, darunter auch der Standard-Korrespondent, werden schon auf den Zugangsstraßen gestoppt. Ihre Personalien werden aufgenommen und sie werden gewarnt, auf der Wang-Fujing-Straße Passanten zu interviewen. Am Tag zuvor hatte die Polizei Journalisten einbestellt, um ihnen diese Botschaft zu vermitteln: Sie dürften niemanden fragen, der ihnen nicht vorab Genehmigung erteilt hat.
Eine Woche vor Beginn des Volkskongresses liegen die Nerven in Peking blank. Die Partei mobilisiert Polizisten im ganzen Land, nachdem im Internet diesen Sonntag Jasmin-Treffpunkte in 23 Städten genannt wurden. Eine Woche davor, am 20. Februar, waren es erst 13 Städte gewesen.
Sonntag nahmen die Behörden in Schanghai und Peking sechs Personen fest. Verschleppte Anwälte wie Teng Biao, Tang Jitian oder Jiang Tianyong blieben verschwunden. Chinas höchster Sicherheitspolitiker Zhou Yongkang befahl nach dem ersten Jasmin-Aufruf "Konflikte im Keim aufzulösen." Selbst die erste Zeile eines populären Volkslieds ist seither unerwünscht: "Hao Yi Duo Mo Li Hua, Oh schöner Jasmin". (Johnny Erling aus Peking, STANDARD-Printausgabe, 28.02.2011)