Am Freitag standen Tierschutzaktivisten vor einer Kleider-Bauer-Filiale in Wien. Die Antipelzproteste gehen trotz Prozesses weiter.

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Wie lange noch? Das ist nach einem Jahr die zentrale Frage beim Tierschützerprozess in Wiener Neustadt, der am Montag in seinen 74. Verhandlungstag geht. Mehr als 100 Zeugen wurden gehört, die meisten vom Staatsanwalt geladen. Weitere rund 200 Zeugen wurden von der Verteidigung beantragt: den sieben Anwältinnen und Anwälten, die die 13 Beschuldigten vertreten, welchen neben Einzeldelikten wie Sachbeschädigung und Nötigung auch nach dem höchst umstrittenen Paragrafen 278a die Bildung einer kriminellen Organisation, vulgo Mafia, vorgeworfen wird. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft.

Ob Richterin Sonja Arleth die vielen Entlastungszeugen - oder eine Reihe von ihnen - anhört oder ob sie auf sie verzichtet: Das wird darüber entscheiden, ob diesem Gerichtsgang möglicherweise am 2. März 2012 auch noch ein zweiter Jahrestag blüht. Oder ob der Prozess vor der heurigen Gerichtssommerpause zu Ende - und dann wohl in die Berufung - geht.

Geschichte geschrieben

Ein Prozess, der schon bisher Gerichtsgeschichte geschrieben hat: Die Klagsdrohung der Richtervereinigung gegen eine wissenschaftliche Kritikerin war einmalig - das folgende Versöhnungsgespräch der betroffenen Strafrechtsprofessorin Petra Velten mit Richtervereinigungschef Werner Zinkl bei Bundespräsident Heinz Fischer höchst ungewöhnlich. Die von dieser Affäre aufgeworfenen Themen betreffen Grundfesten österreichischer Gerichtsbarkeit: die Unabhängigkeit der Richter, die Stellung der Beschuldigten, die Frage, wie offensiv eine Verteidigung sich gebärden darf.

Die Frage Arleths in laufender Verhandlung vor wenigen Tagen, wie viel Zeit denn für die Schlussplädoyers zu veranschlagen sei, wird als Hinweis gewertet, dass sie das Beweisverfahren vor weiteren Entlastungszeugenanhörungen schließen könnte. In diesem Fall gehen manche Beobachter von Freisprüchen vom Vorwurf der kriminellen Organisation nach Paragraf 278a aus.

Sie meinen, dass das bisherige Vorbringen Staatsanwalt Wolfgang Handlers und der geladenen Zeugen den "Mafia"-Verdacht nicht erhärtet habe. Anders scheint das Österreichs oberste Justizpolitikerin, Ministerin Claudia Bandion-Ortner, zu sehen. Auf die Bemerkung, dass offensichtlich keine Sachbeweise vorläge, entgegnete sie im Standard-Interview: "Und wenn doch?"

"Wirklich sehr umfangreich"

Immerhin, so Bandion-Ortner, sei das Verfahren "wirklich sehr umfangreich". Umfangreich - sowie politisch und emotional höchst aufgeladen, ist dem hinzuzufügen. In den Augen ihrer Unterstützer stehen die Beschuldigten stellvertretend für die gesamte NGO-Szene der Tierschützer vor Gericht. Zudem sind die Angeklagten nach einem Jahr finanziell vielfach ruiniert. Das empfinden sie als Strafe vor der Strafe.

Und die Beschuldigten sind medial erfahren sowie rechtlich informiert. Sie bieten Richterin Arleth Paroli wenn diese - wie während der Einvernahme des Vorgesetzten "Danielle Durands" - Fragen der Verteidigung verunmöglicht. Das war am 13. Dezember 2010, Petra Velten saß in der vierten Zuhörerreihe.

Arleth, als Einzelrichterin alleinentscheidend, kann mit derlei Widerständigkeit nicht umgehen; schon zweimal löste sich ein Prozesstag in tumultartigen Szenen auf. Und Staatsanwalt Handler übt sich meist in Schweigen. Es scheint, als wäre man im Landesgericht Wiener Neustadt mit einem Großverfahren wie diesem überlastet. Doch es ist dort nicht das Einzige: Am 17. Jänner begann der Libro-Prozess, Ende Juni soll ein Anlagebetrugsprozess mit 900 Geschädigten starten. (Irene Brickner, DER STANDARD; Printausgabe, 28.2.2011)