Telepresence-Interview mit Lew Tucker, Cisco (re.)

Foto: Fasching/Cisco

Standard: Für viele ist Cloud-Computing noch immer ein nebeliger Begriff. Erklären Sie es uns.

Tucker: Früher haben wir Internet benutzt, um Information, Filme oder eine Anwendung zu erhalten. Jetzt können Firmen auch Rechner und Speicher online erhalten: Sie können ganze IT-Bestandteile über Internet so lange mieten, wie sie gebraucht werden. Wir nennen das "Infrastruktur als Service": Statt eigene Systeme zu kaufen und zu installieren, kann man diese Computerleistung über Internet erhalten. Alles was ein Unternehmen dann noch braucht, ist ein Laptop oder Desktop, die Server sind in der Cloud.

Standard: So wie wir Elektrizität aus der Steckdose und nicht dem eigenen Generator beziehen?

Tucker: Die Analogie bietet sich an. Anfang des 20. Jahrhunderts hat jedes Unternehmen sein eigenes Kraftwerk gehabt, um seine Fabrik zu betreiben. Das war ineffizient, und nebst den Anlagen musste jeder auch die Elektrotechniker dafür haben. Daraus wurde ein Versorgermodell, dasselbe passiert jetzt auch bei IT: Statt dass jedes Unternehmen sein eigenes Datenzentrum baut, gibt es Betreiber, bei denen man Kapazität mit anderen teilt.

Standard: Was bedeutet das für kleine und mittlere Unternehmen?

Tucker: De facto ist es für kleine Firmen sogar besser als für große, denn sie müssen sich nicht mehr um den Betrieb eigener Server kümmern. Das kann durch Outsourcing an einen Cloud-Service-Provider erledigt werden, sodass das Unternehmen nur mehr seine eigenen Anwendungen managen muss, aber nicht die IT-Infrastruktur. Es ist billiger, wenn ein Provider hunderten Firmen diese Leistungen anbietet, als wenn sie jede einzelne selbst besorgt. Bei Amazon beispielsweise kostet eine Serverstunde zehn Cent, ein bemerkenswert niedriger Preis, der weiter sinken wird.

Standard: Ehe uns PCs vom Diktat der Spezialisten befreiten, hatten wir Großrechner. Ist das eine Rückkehr zu früheren Strukturen?

Tucker: Es ist tatsächlich ein Echo aus der Vergangenheit und nutzt frühere Erfahrungen, wie man viele Anforderungen mit einer zentralen Struktur bedienen kann. Der Unterschied ist, dass damals die Benutzer nur ein Terminal und die IT-Abteilung alle Anwendungen unter ihrer Kontrolle hatten. Mit Cloud-Computing sind die Firmen im Besitz der Anwendungen, der Provider beherbergt sie nur. Das gibt den Benutzern freie Hand bei der Verwendung, und sie zahlen nur für tatsächlichen Gebrauch, ob für ein paar Wochen oder ein paar Monate.

Standard: Als Konsument kann einem niemand vorschreiben, welche Angebote man nutzen kann?

Tucker: Cloud-Computing umfasst mehr als nur die technische Infrastruktur als Service, es beinhaltet auch Software als Service, wie bei Salesforce.com (Online-Anbieter von Customer-Relationship-Software, Anm.) oder Google Doc. In diesen Fällen erhält man vom Anbieter auch eine Software zur Verfügung gestellt. Aber wenn einem das nicht genügt, kann man den Anbieter wechseln.

Standard: Mit einigen Cloud-Services sind viele Benutzer vertraut - etwa Mail, Suche, Social Networks, Onlinespiele usw. Was wird sich in den nächsten Jahren durchsetzen?

Tucker: Wir werden mehr von diesen Kernanwendungen sehen sowie Business-Anwendungen, etwa um Kundenbeziehungen oder Human Resources zu managen. Aber das Internet ist besonders gut bei der Entwicklung des "Long Tail" (die Entwicklung vieler Produkte nach der Etablierung zentraler Dienste wie Suche oder E-Commerce, Anm.) mit neuen Angeboten, z. B. für Ärzte, Anwälte und andere spezielle Bedürfnisse.

Standard: Das erscheint zwar bequem, aber können wir unsere Daten Konzernen anvertrauen, die wir nicht wirklich kennen?

Tucker: Es ist nichts Neues, dass Firmen Teile ihrer IT oder Daten outsourcen. Mit Cloud-Providing stehen wir am Anfang, und es wird viele verschiedene Arten geben, etwa für Ärzte oder Notare oder die Verwaltung. Diese Anbieter müssen sich das Vertrauen ihrer Kunden so wie Banken verdienen.

Standard: EU-Bestimmungen schreiben vor, dass Daten nur in Ländern verarbeitet werden können, die EU-Auflagen entsprechen. Was ist die Konsequenz?

Tucker: Regulierungen sind nicht nur je nach Ländern, sondern auch je nach Branchen unterschiedlich. Es wird darum viele Wolken geben, nicht nur ein paar große globale Provider, sondern auch regionale und solche für Bereiche wie öffentliche Verwaltung, Banken oder Gesundheitssysteme.

Standard: Obwohl Mobilgeräte für Cloud-Angebote ideal sind, entstanden ganze App-Universen. Wie wird sich die Konkurrenz zwischen Cloud und Apps entwickeln?

Tucker: Wenn ich eine Frage habe, gehe ich ins Internet. Wenn ich hingegen etwas tun will, dann schau ich mich nach einer App um, zum Beispiel um bei einer Diät Kalorien zu kontrollieren oder für mein Trainingsprogramm im Fitnesscenter. Und wir haben verbundene Apps, die lokal ablaufen, sich dazu aber Information aus der Wolke holen und wieder speichern - etwa bei Spielen.

LEW tucker ist Ciscos Chief Technology Officer für Cloud-Computing. Der Computerwissenschafter war zuvor für Salesforce.com und Sun Microssystems tätig. (Helmut Spudich/ DER STANDARD Printausgabe, 1. März 2011)

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