Kairo/Istanbul - Dem ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak legte der temperamentvolle türkische Premier als erster unverblümt den Rücktritt nahe ("Vergiss nicht, wir sind nicht unsterblich"), bei Muammar Gaddafi ist Tayyip Erdogan dagegen verdächtig still. "Nicht reden, heißt nicht, dass man nichts sagt", erklärte ein hoher Vertreter des türkischen Außenministeriums philosophisch.

Der Grund für den vorsichtigeren Umgang der türkischen Führung mit Libyen liegt sicher in der komplexen und sehr viel offeneren Lage in Gaddafis Wüstenstaat begründet. Doch gleichzeitig versucht auch die Türkei, die sich als aufsteigende Regionalmacht begreift, mit den neuen Realitäten in der arabischen Welt fertig zu werden. Nach der Phase des Selbstlobs für das "türkische Modell" und dessen angebliche Wirkung auf die arabischen Revolutionen geht es nun um Einfluss und um Unterstützung der neuen Übergangsregime. Am Donnerstag flog Staatspräsident Abdullah Gül nach Kairo. Es war der erste Besuch eines ausländischen Staatschefs bei der jetzt regierenden Militärführung in Ägypten. Begleitet wurde Gül von Außenminister Ahmet Davutoglu, der zuvor schon in Tunis gewesen war.

"Unsere Erwartungen"

Er sei nach Ägypten gekommen, um "unsere Erwartungen und unsere Erfahrung" mitzuteilen, sagte Gül. Die Türkei habe gezeigt, dass Islam und Demokratie ausgezeichnet koexistieren können. Hohe türkische Diplomaten haben sich in den letzten Wochen beeilt, festzustellen, dass jedes arabische Land einzigartig sei und die Türkei anderen keinesfalls ein "Modell" auferlegen wolle. Doch es gilt als ausgemacht, dass sich die regierende konservativ-muslimische AKP im anlaufenden Parlamentswahlkampf die politischen Umwälzungen in der arabischen Welt auf ihre Fahnen schreibt. Erdogans außenpolitischer Berater Ibrahim Kalin beschwor eine "neue arabische Welt": "Die Demokratie wird auch die radikalsten Bewegungen transformieren."

Im Fall Libyens hat sich die türkische Regierung gegen jede Art von Sanktionen gestellt. Strafmaßnahmen, auch wenn sie gegen Gaddafis Regime zielten, schadeten nur der Bevölkerung, lautet das Argument. Vor allem Pläne für eine Flugverbotszone und Drohungen mit militärischen Interventionen spielten dem Regime in die Hände, heißt es. Ankara hat fast 20.000 Türken aus Libyen evakuiert, zumeist Unternehmer und deren Angestellte und Familien. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2011)