Uwe Knop (38) ist Ernährungswissenschaftler und arbeitet seit über zehn Jahren als PR- und Kommunikationsexperte in der Ernährungs-, Medizin- und Pharmabranche.

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Hunger & Lust, Books on Demand, ISBN 978-3-8391-7529-3, Paperback, 208 Seiten

Mit Bauchverstand

 

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Der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop wünscht sich mündige Essbürger, die auf Körpersignale wie Hunger und Lust hören.

derStandard.at: Warum sind immer mehr Menschen übergewichtig?

Knop: Es stimmt nicht, dass immer mehr Menschen übergewichtig sind. Man hat nur festgestellt: Bereits dicke Menschen werden noch schwerer. Die Anzahl der Übergewichtigen scheint dagegen völlig konstant zu sein. Das zeigen statistische Auswertungen der letzten Jahre. Die KiGGS-Studie vom Robert Koch Institut in Berlin ist beispielsweise auch zu dem Ergebnis gekommen, dass 75 Prozent der Kinder in Deutschland normalgewichtig sind. Von der oft propagierten "Fettleibigkeits-Epidemie" kann also keine Rede sein. 

derStandard.at: Dann werden sämtliche Kampagnen das globale Übergewicht auch nicht stoppen?

Knop: Kampagnen werden es deshalb nicht stoppen, weil diese maßgeblich darauf abzielen, Menschen rationales Wissen zu vermitteln, dass dann selbsttätig umgesetzt werden muss. Das funktioniert nicht. Diese Tatsache ist bekannt. Aber nochmal zur Erinnerung: Wir brauchen keine Kampagnen gegen das Übergewicht, denn es gibt keine Übergewichts-Epidemie.

derStandard.at: Warum werden denn die Schweren immer schwerer?

Knop: Auf diese Frage gibt es keine pauschale Antwort. Das Thema Körpergewicht ist ganz individuell zu betrachten. Es gibt nicht den einen Grund warum Menschen dick oder dünn sind. Es ist ein Sammelsurium von Faktoren. Nur im Gespräch mit einer Einzelperson lässt sich ergründen, ob jemand aus Frust oder Langeweile isst, an einer Essstörung leidet oder aber auch aus genetischen Gründen von Natur aus schwerer ist. Wobei Übergewicht grundsätzlich nicht gesundheitsgefährdend sein muss. Gemäß zahlreicher großer Untersuchungen haben Menschen mit leichtem Übergewicht sogar die längste Lebenserwartung. 

derStandard.at: In der Theorie weiß mittlerweile jeder Mensch was gesunde oder ungesunde Ernährung ist. Wieso lässt sich das in der Praxis so schwer umsetzen?

Knop: Man weiß heute im Prinzip nichts zum Thema "Gesundheitsfördernde Auswirkungen von Ernährung", also weder was gesund, noch was ungesund ist. Die Ernährungswissenschaft hat hier einfach keine Beweise anzubieten. Es gibtfast nur Beobachtungsstudien, die zu statistischen Zusammenhängen führen. Daraus lässt sich aber niemals ein echter Beweis ableiten. Kein Mensch kann schlüssig aufzeigen, warum beispielsweise ein fünfmaliger täglicher Verzehr von Obst und Gemüse so gesund sein soll. Das ist eine reine Behauptung. Vielleicht essen ja auch gerade deshalb nur etwa zehn bis zwanzig Prozent der Österreicher so viel Obst und Gemüse.

derStandard.at: Das heißt die Einteilung in gesunde oder ungesunde Lebensmittel ist völlig sinnlos?

Knop: Natürlich und das hat meine Analyse von mehr als 200 Studien der letzten Jahre bestätigt. Gesund ist nur, was jedem persönlich bekommt und das ist eben ganz unterschiedlich. Im Übrigen bestätigt das auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung: "Die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel hat keinen Sinn."

derStandard.at: Nach welchen Kriterien soll man dann auswählen, was man isst?

Knop: Wichtig ist das Vertrauen in die Körpersignale Hunger und Lust. Nicht der Verstand sollte darüber entscheiden, was wir essen, sondern der Instinkt, also das Gefühl. Jeder sollte essen was er möchte und was ihm schmeckt, allerdings nur wenn er tatsächlich echten Hunger verspürt. 

derStandard.at: Was wenn einem die Fähigkeit Hunger zu spüren, abhanden gekommen ist?

Knop: Dann sollte man zunächst sämtliches pseudowissenschaftliches Ernährungshalbwissen aus dem Kopf zu streichen. Und dann heißt es: Einfach ausprobieren, ob man seinen echten Hunger wiedererkennt. Da kann es helfen, dieses Gefühl auszureizen. Wenn man also gewohnt ist morgens zu essen, ohne zu wissen, ob man hungrig ist oder nicht, dann heißt es warten und erst dann essen wenn der Hunger tatsächlich kommt. Das wird irgendwann der Fall sein, denn jeder Mensch wird hungrig - wenn das Gefühl nicht schon gänzlich abhanden gekommen ist, weil beispielsweise bereits eine manifeste Essstörung besteht. Ansonsten ist das eine Frage der Übung, dieses "auf-den-Körper-hören". Wer damit am Anfang Probleme hat, erkennt spätestens an den ersten Anzeichen einer Unterzuckerung, das heißt, wenn die Hände zu zittern beginnen und feucht werden, dass es Zeit ist zu essen. Aber: Das Ausreizen des Hungers bis dahin ist schon grenzwertig.

derStandard.at: Wenn ich immer nur Gusot auf Junk- Food habe?

Knop: Sie haben mit Sicherheit nicht immer Lust auf die gleichen Nahrungsmittel. In Deutschland, Österreich und der Schweiz leben wir wie im Schlaraffenland, daher hat Ihr Körper über die Jahre viele verschiedene Lebensmittel kennengelernt. Über die kulinarische Körperintelligenz und damit über die Gefühle Hunger und Lust können sie auswählen, was ihr Körper braucht. Fest steht: Er braucht Abwechslung und Vielfalt. Wenn sie drei- oder viermal das Gleiche zu sich nehmen, werden sie feststellen, dass sie ganz automatisch Hunger und Lust auf anderes Essen bekommen. 

derStandard.at: Was verstehen Sie genau unter kulinarischer Körperintelligenz?

Knop: Unter kulinarischer Körperintelligenz verstehe ich das einzigartige Körperwissen über den Wert von Nahrung, das in jedem Menschen steckt. Konkret bedeutet das, zu wissen was gut beziehungsweise schlecht ist für den eigenen Organismus, Signale wie Hunger und Lust wahrzunehmen und nicht auf vage Vermutungen zu vertrauen, die Ernährungswissenschaftler verbreiten und die für den einzelnen Menschen keinerlei Relevanz besitzen. Du isst, was du bist. Dieser Satz verdeutlicht, dass jeder Mensch ein Individuum ist und sein einzigartiger Körper über die Gefühle Hunger und Lust bestimt, welche unterschiedlichen Lebensmittel er zu unterschiedlichen Zeiten braucht.

derStandard.at: Traditionellerweise werden in Österreich aber drei Mahlzeiten zu bestimmten Uhrzeiten gegessen. Ist eine derartige Konditionierung bereits im Kindesalter nicht kontraproduktiv? 

Knop: Egal, ob die Empfehlung dreimal oder fünfmal täglich essen lautet oder aber das Frühstück zur wichtigsten Mahlzeit erklärt wird - solche Vorgaben und Regeln sind immer problematisch und am besten streicht man sie alle aus dem Gedächtnis. Wenn jemand morgens keinen Hunger hat, dann sollte er auch nicht zwangsweise frühstücken. Es gibt nicht die eine richtige Ernährungsform, die für alle Gültigkeit besitzt. Traurig, dass man aber schon Kindern versucht einzubläuen, was "gesundes" und was "ungesundes" Essen sein soll. 

derStandard.at: Wenn jeder isst, wann er Hunger verspürt, geht dann nicht das gemeinsame Essen als soziales Ereignis verloren?

Knop: Auch darauf lässt sich keine pauschale Antwort geben. Lebensumstände sind heute sehr individuell. Es gibt zwar noch die traditionelle Familien, aber eben auch viele andere Lebensformen. Es ist also immer ein Abwägen zwischen meinen eigenen Bedürfnissen und denen des sozialen Umfelds in dem ich lebe. Jeder sollte im Einklang damit seinen gesunden Weg für sich finden. 

derStandard.at: Was halten Sie von Diäten?

Knop: Nichts, denn Diäten machen nicht schlank, sondern dick und krank. Das beruht maßgeblich auf dem bekannten Jojo-Effekt. Mit einer Diät wird eine künstliche Hungersnot erzeugt. Währenddessen nimmt man ab und der Organismus schaltet auf ein Notprogramm zur besseren "Futterverwertung" um, damit er für künftige Hungersnöte sprich Diäten gewappnet ist. Die Diätindustrie ist also ein System, das sich seine Zielgruppe selbst erhält. 

derStandard.at: Gibt es denn irgendwelche Ernährungsempfehlungen, denen man folgen darf?

Knop: Nur die eine, auf seinen eigenen Körper zu hören und den Signalen Hunger und Lust zu vertrauen. Ansonsten gibt es meines Erachtens keine Ernährungsregeln, die allgemeingültig sind. Die Menschen sind einfach zu verschieden. Jeder von uns is(s)t anders und sollte daher für sich selbst herausfinden, was ihm gut tut und was nicht. 

derStandard.at: Sind Essstörungen eine Folge der vielen Ernährungsempfehlungen, die man tagtäglich zu lesen und hören bekommt?

Knop: Diese Frage ist für viele Betroffenen klar mit ja zu beantworten. Wer sich sehr strikt an Ernährungsregeln hält, sein Essverhalten nur mehr über den Verstand steuert und dabei seine Körpergefühle mehr und mehr ignoriert, der läuft sicher Gefahr eine Essstörung zu entwickeln. Wenn Menschen beispielsweise darauf fixiert sind nur noch gesunde Lebensmittel zu essen, dann kann das zweifelsohne in die entsprechende Essstörung namens "Orthorexie" führen. 

derStandard.at: Ist Ihre Esswahrheit der Weisheit letzter Schluss?

Knop: Das behaupte ich mit Sicherheit nicht. Diese Frage sollte jeder für sich selbst beantworten. Denn ich habe die Vision des mündigen Essbürgers. Das ist ein Mensch, der beim Essen auf seine Körpergefühle Hunger und Lust vertraut und selbst darüber entscheidet, was gut oder schlecht für ihn ist und nicht auf irgendwelche Ernährungsregeln hört.

derStandard.at: Da gerade die Fastenzeit beginnt, würde ich gerne erfahren, was Sie persönlich vom Fasten halten?

Knop: Fasten ist für viele Menschen ein Weg, sich wieder besser kennen zu lernen, indem sie während des bewussten Verzichts intensiver auf ihren Körper und seine Signale achten. Da steckt viel Psychologie drin. Wem dieser völlige oder teilweise Verzicht aufs Essen gut tut, der fastet sicher immer wieder gerne. Wichter aber als eine kurze Phase "sich etwas gutes zu tun" ist jedoch: grundsätzlcih ein gesundes Essverhalten auszuleben, das einem täglich gut tut. Diese lebenslange Variante ziehe ich persönlich dem kurzfristigen Fasten vor. (Regina Philipp, derStandard.at, 10.03.2011)