Daniel Spoerri: Wien ist schon besonders, dieses Slawentum rundherum, die Donau, hier fühle ich mich im Moment wirklich wohl. Und ich finde die Wiener auch sehr höflich. Höflich und ein bisschen altmodisch.

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Standard: Als ich Sie bat, mit mir über Gott, Ihre Kunst und die Welt zu reden, sagten Sie: "Über Gott nicht. Ich bin Atheist." Dabei war ein Gott einst Ihr Hausherr.

Spoerri: Reden kann man über Gott schon. Es gibt ihn, weil man an ihn glaubt. Kunstgeschichte, Weltgeschichte, Kriege: wurde alles in seinem Namen gemacht. Eigentlich hat Gott mehr Leute getötet als jeder Despot. Wobei er auch genützt hat, es gäbe sonst die Kathedralen nicht. Ich darf mir erlauben zu sagen: Den Gott brauche ich nicht - obwohl er mich fasziniert.

Standard: Auf der griechischen Insel Symi, wo Sie 1966/67 lebten, haben Sie ihn kennengelernt. Ihr Vermieter dort hielt sich für Gott?

Spoerri: Kosta Theos, Son of God. Er war wunderbar und der Einzige, den ich als Gott akzeptierte. Weil er ein Mensch war, der sich in seinem Wahnsinn als Gott stilisierte. In Wirklichkeit war er ein Bettler, ein furchtbar geiziger Mensch, der am Hafen als Handlanger arbeitete. Jemand hatte ihm ein altes, ganz verstimmtes Klavier, geschenkt, auf dem spielte er mit seinen Riesenpranken: wumm, wumm, wumm. Und dann kam er zu uns und sagte: "Today I played fifty pages of Beethoven."

Standard: Er sprach Englisch?

Spoerri: Er hatte vierzig Jahre in Amerika gelebt. War Gemüseputzer bei einem anderen Griechen. Ich habe ein Buch über ihn herausgegeben: "Kosta Theos. Dogma: I am God." Dogma I am God, das ist ein Palindrom (kann auch von hinten nach vorn gelesen werden; Anm.) von André Thomkins. Über ihn wollen wir in unserem Museum in Hadersdorf im Mai eine Ausstellung machen.

Standard: In Griechenland schrieben Sie die "Abhandlung über die Boulette". Was faszinierte Sie am Fleischlaberl?

Spoerri: Ich nannte das "Versuch über das Vorgekaute". In Griechenland Fleisch zu kaufen, das war ein Abenteuer. Da hing ein halbes Rind in der Auslage, der Fleischer fing unten an, Fleisch abzuschneiden. Er hatte einen Stein als Gewicht, und ein Stein kostete eine bestimmte Drachmen-Summe. Das war vielleicht ein Geschrei in dem Geschäft. Die eine Frau rief: "Nein, nicht so viel Fett", die nächste kreischte: "Nein, nicht so viele Knochen", und die andere:, "Ich will nicht die nächste sein" - ein Riesentheater. Und wenn man dann daheim ankam, hatte man nur ein Fetzelchen Fleisch, das man braten konnte, den Rest musste man anders verarbeiten. Da hatte jeder seinen Fleischwolf. 

Standard: Sie sind berühmt für Ihre Sammelleidenschaft, sammeln Sie auch Fleischwölfe?

Spoerri: Sicher. Ich hatte 80 verschiedene Fleischwölfe. Ich habe einmal einen hohen Turm gebaut, aus Fleischwölfen und Kochutensilien, die es nur in Österreich gibt. Den Fisolenschneider zum Beispiel, den gibt es nur hier, oder die Mohnquetsche. Ich könnte Ihnen allein zehn verschiedene Mohnquetschen und Mohnmühlen zeigen.

Standard: Mit Eat Art, Ihrem "Restaurant Spoerri" in Düsseldorf und Banketten wurden Sie berühmt. Kochen Sie jetzt noch?

Spoerri: Ja, für mich oder bei Banketten. Das nächste ist in Montreal, wobei ich da nicht selbst koche, nicht für hundert Leute.

Standard: In Krems haben Sie anlässlich Ihrer Ausstellung jüngst für 100 Leute Gulasch gemacht ...

Spoerri: Ein richtiges Szegediner Gulasch; nicht mit Öl, sondern mit Schmalz. Das Kraut kaufe ich bei Leo am Naschmarkt.

Standard: Warum nennen Sie sich Geheimkoch?

Spoerri: Weil ich kein offizieller, kein Haubenkoch bin. Eat Art hat nichts mit Haubenküche zu tun, Eat Art ist die Frage nach dem Wozu, dem Leben, der Vergänglichkeit, dem Tod. Bei den Tieren ist Essen auch Töten. 

Standard: Aber Tiere kochen nicht.

Spoerri: Doch, doch, Tiere kochen auch. Sie lassen Dinge verfaulen, sie zerren ihre Nahrung in die Sonne, sie weichen sie ein, das ist alles schon kochen. Nur haben sie halt keine Pfannen und Messerchen.

Standard: Im Spoerri gab es Tigerfilet, Elefantenrüssel, Heuschrecken. Wo kauft man eigentlich Tigerfilets?

Spoerri: Ganz einfach: Es gibt Tierparks. Dort dezimieren sich die Tiere nicht natürlich. Nehmen Sie den Bärengraben in Bern: Die haben dort viele junge Bären. Die behalten sie ein paar Jahre lang, so lange sie herzig sind, und dann werden sie getötet.

Standard: Und dann kam Daniel Spoerri und machte Bärenbraten draus?

Spoerri: Nicht Daniel Spoerri. In Bern gab's ein Lokal, in dem Bärenessen bis vor kurzem Tradition waren. Ich wollte damals einfach nur sagen: Schaut, das kann man alles essen. Man isst auf der Welt auch alles. Als Paris okkupiert war, aß man Ratten, die sind auch nicht so schlecht. 

Standard: Ihre Lieblingsspeise?

Spoerri: Suppe, Kartoffeln, Käse, Reis, Spaghetti. Ganz einfache Sachen. Bei Eat-Art geht es um die Sinne. (Steht auf und holt ein Kistchen.) Schauen Sie, das habe ich alles in Wien gesammelt.

Standard: Ihre Kartoffelschäler...

Spoerri: Sparschäler: ganz alte, alte, neuere, moderne ...

Standard: Wieso sammeln Sie die?

Spoerri: Weil es mich fasziniert. (Steht auf und holt ein anderes Kistchen.) Schauen Sie sich das an: Teigradln. Und keines, das dem andren gleich ist.Von da komme ich auf Darwin und die Evolutionstheorie, wie wir Menschen uns ständig verändern. Und Künstler übertragen das auf ihre Objekte: Auch wir verbessern und verändern. 

Standard: Sie sammeln also wegen des Unterschieds?

Spoerri: Ja. Schauen Sie: Dieses Radl sieht aus wie dieses, dabei ist der Griff ganz anders. So viele Unterschiede. Heute ist alles gleich. Das Gleiche wird mechanisiert und organisiert, so werden letztlich Konzentrationslager möglich. Jetzt sammle ich Kümmerlinge. Wissen Sie, was das ist? Falsch gewachsene, kleine Geweihe. 

Standard: Wie kamen Sie drauf?

Spoerri: Ich war bei einem Abendessen und saß neben einer Frau Kummer. Ich fragte, ob ihr das Mühe gemacht hat, so zu heißen, sie sagte: "Eigentlich habe ich immer darunter gelitten." Darauf ich: "Aber Kümmerlinge sind doch eigentlich witzig." Nehmen Sie den (holt einen Kümmerling, dem er einen Puppenkopf appliziert hat): Ich mache meinen Spaß damit.

Standard: Sie wuchsen in Rumänien auf, flüchteten mit 12 nach der Ermordung Ihres jüdischen Vaters in die Schweiz, gingen nach Paris, Deutschland, Griechenland, Italien, Österreich. Jemand schrieb über Sie, Sammeln sei seltsam für einen, der wie Sie oft den Ort wechselt. Ist es nicht umgekehrt? Sie brauchen doch Erinnerungsstücke.

Spoerri: Einst waren alle Sammler.

Standard: ... und Jäger.

Spoerri: Jäger und Sammler - das bin ich. Wissen Sie, bei mir war einfach alles nie da: Ich war nicht in der richtigen Schule, hatte nicht die richtige Religion, nicht den richtigen Vater. So jemand will dann Sachen einfach haben. 

Standard: Suchen Sie gern oder finden Sie gern?

Spoerri: Was ich gerne mag, ist dieser aufgeregte Zustand, in dem ich über den Flohmarkt gehe. Und dann plötzlich, wenn ich etwas sehe, diese Erkenntnis: Ja, da ist es.

Standard: Und weil Sie so viele Objekte haben, errichten Sie "Staulager", aus denen Museen werden wie Ihr Giardino in der Toskana oder Ihr Museum in Hadersdorf in Niederösterreich?

Spoerri: Wir haben in der Nähe von Hadersdorf schon wieder ein Lager, in einem ehemaligen Supermarkt. Dieser Riesenraum mit Säulen sieht so schön aus, dass wir dort Ausstellungen machen könnten. Dafür brauchen wir dann aber wieder ein Lager.

Standard: Sie erzählen immer bedauernd, dass Sie nicht zeichnen können. Das hat auch die Auslagendekorateur-Lehre verhindert, in die Sie Ihr Zürcher Onkel, der Sie adoptiert hatte, stecken wollte. Dieser Tatsache verdanken Sie doch eigentlich Ihre Karriere?

Spoerri: Man wusste in meiner Jugend nie, was man mit mir anfangen soll. Ich bin dann in Existenzialistenkellern gelandet ...

Standard: ... im Zürcher Tresterkeller...

Spoerri: Ja, im Tresterklub, dort habe ich getanzt. Das war die Zeit, da mich der ehemalige Ballettmeister Max Pfister-Terpis fand, als ich, wahrscheinlich betrunken, auf irgend einem Kieshaufen im Freien übernachtete. Er sagte: "Tanz doch, wenn du nichts anderes kannst. Dann musst du aber in eine Ballettschule gehen." So wurde ich Tänzer.

Standard: Das war Ihnen das Befriedigendste, das Sie je machten, sagen Sie. Warum?

Spoerri: Ich tanzte, schwitzte, und die Leute klatschten: Ich bekam den Erfolg direkt. Bei meinen dreckigen Tellern (Fallenbilder: Assemblagen, mit denen Spoerri etwa Tische nach dem Essen verewigt; Anm.) musste ich vierzig Jahre warten, bis wer sagte: "Oh, wie schön." (lacht).

Standard: Stimmt nicht ganz, das Museum Of Modern Art hat schon 1961 Ihr Fallenbild "Frühstück mit Kichka" ausgestellt und angekauft.

Spoerri: Aber die Leute in New York sagten nicht, "Oh, wie schön", sondern "Oh, schrecklich". Doch es hat sie beeindruckt.

Standard: Wollten Sie mit Ihren Objekten beeindrucken?

Spoerri: Ich wollte etwas zum Schauen geben, meine eigene klägliche Situation zeigen, meine Armut und mein Nicht-Wissen, warum man auf der Welt ist. Es war meine Neugierde, die ich zur Schau stellen wollte. Dabei habe ich, ohne es zu ahnen, etwas gemacht, was sich rückwärts gesehen gut einordnete. Die Fallenbilder gehörten zu Stillleben und Tafelbildern, nur hielt ich nicht schön drapierte Blumen oder Früchte fest, sondern einen späteren, zufällig gewählten Moment in dem Zyklus von Leben und Tod. Ich setze einen anderen Schnittpunkt. Da, wo man ein Tier tötet, um es zu essen, zu verdauen, die Scheiße, aus der dann Dünger wird und die so neues Leben schafft. Es geht um diesen Kreislauf, der Tod und Leben heißt. Bei den Tieren ist das alles viel direkter - wir Menschen haben das Töten tabuisiert und okkultiert: Bloß nicht wahrhaben, dass dem Essen der Tod voran gegangen ist. Das Essen wird schön gemacht, mit Blumen und Dekor, mit Messer und Gabel. Die ganze Zivilisation ist eine Entfernung vom Tier. Das alles will ich veranschaulichen. Aber schockieren wollte ich nicht. 

Standard: Sie haben aber schockiert, als Sie Abfall in Brot einbuken.

Spoerri: Das war eines meiner ersten Objekte und hat sehr entsetzt. Das deutsche Brotmuseum empörte sich, da werde "der deutsche Brotgedanke" zerstört. "Wenn wir solche Dinge ausstellen, müssen wir uns nicht wundern, wenn die hungrigen Massen bei uns einfallen", sagten die. Das ist heute noch so: Die Hungrigen sollen ruhig draußen bleiben. 

Standard: Sie nannten sich einmal "Handlanger des Zufalls", weil Ihre Fallenbilder mit den verewigten Ess- und Geschirrresten eben zufällige Momente fixieren. Gibt es den Zufall überhaupt?

Spoerri: Ich vertraue auf den Zufall. Ich stelle nicht Gegenstände auf den Tisch und sage: Das blaue Kistchen stelle ich da her, weil ich als Künstler das hier schön finde, das Rote rücke ich dagegen hier hin. Ich mache Momentaufnahmen, Schnappschüsse. Man kann natürlich auch sagen, dass es keinen Zufall gibt. Nehmen Sie die Regentropfen am Fenster eines fahrenden Zugs: Ihre Richtung könnte man anhand der Geschwindigkeit des Zuges, des Gegenwinds, des Staubs als Widerstand auf der Scheibe sicher sehr präzise errechnen, aber das ist unheimlich kompliziert. Also sagen wir: Es ist Zufall, wohin sie rinnen.

Standard: Wollte sich der junge, heimatlose Spoerri anfangs mit seinen Fallenbildern eigenes Land schaffen?

Spoerri: Das war mir sehr wichtig. Meine ersten Tische waren ein Territorium, das mir gehörte. Ich war richtig glücklich damals, als ich die Tische an der Wand sah. 

Standard: Und sind Sie heimatlos?

Spoerri: Ich bin ganz sicher ein Heimatloser. Ich kann jederzeit gehen und nie mehr auftauchen. Aus meinem Haus im Tessin etwa, war ich ganz schnell weg: an einem Tag gepackt und auf, nach Wien.

Standard: Wenn Ihnen langweilig wird, ziehen Sie einfach weiter?

Spoerri: Ja, wenn's mich enerviert. 

Standard: Vorausgesetzt, Sie packen Ihr Köfferchen nicht: Was machen Sie als nächstes, was sammlen Sie gerade?

Spoerri: Mich interessiert schon sehr, was in der Nazizeit passiert ist. Ich habe vor ein paar Jahren am Flohmarkt Judaika gekauft, darunter einige Fotos. Da gab es in Wien im Naturhistorischen Museum den anthropologischen Experten, Doktor Josef Wastl; er hat die Menschen vermessen. Ich habe die Unterlagen einer Frau gefunden, die einen Antrag auf Deutschblütigkeit gestellt hat, beim rassehygienischen Amt war sie als Mischling zweitens Grades eingestuft worden. Ich wäre übrigens Mischling erstens Grades gewesen. Dieses ganze Konvolut - die Fotos, die von ihr gemacht wurden, die Vermessungen vom Herrn Doktor Wastl, ihr Antrag auf Deutschblütigkeit - das alles konnte man 2007 noch am Wiener Flohmarkt finden. Ihr Ansuchen wurde übrigens abgewiesen: "Rekurs nicht möglich" stand drauf. Die Frau, die damals 26 und studierte Juristin war, arbeitete dann als Schneiderin. Wastl wurde nach dem Krieg seines Amtes enthoben, durfte in seiner Dienstwohnung in der Hofburg bleiben und erstellte bis zu seinem Tod Vaterschaftszeugnisse - an Hand von Vermessungen.

Standard: Ist Ihnen Ihr Jüdisch-Sein im Alter wichtiger geworden?

Spoerri: Nein. 

Standard: Zuletzt haben Sie sich für Ihre Ausstellung im Grazer Stadtmuseum, die nächste Woche eröffnet wird, mit Thronfolger Franz Ferdinand beschäftigt. Da spielt ein jüdischer Lokführer eine wichtige Rolle ...

Spoerri: Ich habe Stichworte zu einem Musée Sentimentale bearbeitet. Direkt unter dem Grazer Uhrturm ist das Palais Khuenburg, in dem wurde Franz Ferdinand geboren, heute ist es das Stadtmusem. Dort geboren, in Sarajewo gestorben, da habe ich sofort eine Beziehung hergestellt. Im Heeresmuseum in Wien ist sein blutiger Rock ausgestellt als Staatsreliquie, und den wollte ich in seinem Geburtszimmer ausstellen. Wir bekamen ihn natürlich nicht. Doch wir haben etwas viel Schöneres bekommen: Das, was Franz Ferdinand drunter an hatte: sein Blut verschmiertes Hemd. Also heißt sein Geburtszimmer nun "Mein letztes Hemd". Wir haben den Raum rosa angestrichen und mit Stroh ausgelegt, weil er damals rosa tapeziert war und auf der Straße draußen lag Stroh, damit die Mutter Franz Ferdinands nicht so unter dem Lärm leiden musste. In der Ausstellung sind vier Objekte von mir, und eines davon ist es etwas ganz Absurdes: Die weißen Handschuhe des jüdischen Lokomotivführers, der die Thronfolgerfamilie nach Sarajewo gebracht hat, so zu sagen aufs Schafott. Wieder einmal waren die Juden an allem Schuld. 

Standard: Wie haben Sie das mit dem jüdischen Lokführer herausgefunden?

Spoerri: Von den Kuratoren des jüdischen Museums in Wien, die haben mich darauf aufmerksam gemacht - und solche Verbindungen machen mir natürlich großen Spaß.

Standard: Zurück nach Wien, wo Sie jetzt seit drei Jahren gleich neben Nasch- und Flohmarkt leben. Ist Ihnen Wien auch nur Zwischenstation? Sie sagen immer, dass Sie hier an der Donau Ihre Kindheit in Rumänien, 1000 Kilomeer stromabwärts, riechen können.

Spoerri: Wien ist schon besonders, dieses Slawentum rundherum, die Donau, hier fühle ich mich im Moment wirklich wohl. Und ich finde die Wiener auch sehr höflich. Höflich und ein bisschen altmodisch. Für alte Leute (lacht) ist Wien eine sehr wunderbare Stadt. Und die jungen Leute sind so hübsch hier. Ich kenne Wien aber auch schon seit sechzig Jahren, kam erstmals mitten in der Aktionistenzeit hierher. Da traf ich Arnulf Rainer, Oswald Oberhuber, Kurti Kalb und Evelyn Oswald (Kunsthistorikerin, die mit dem Galeristen Kalb das legendäre Restaurant Oswald & Kalb gründete; Anm.), Gerhard Rühm, Günter Brus. Wir waren alle auf einer Wellenlänge.

Standard: Sie könnten aber auch sofort Ihren Koffer packen und gehen?

Spoerri: Ein Köfferchen reicht. Ich habe alles in eine Stiftung eingebracht. Wissen Sie, ich kann auch Menschen loslassen, die sehe ich dann nie wieder. Das entsetzt manche Leute. Es reut mich aber nicht. Ginge ich heute aus Wien weg, würde mich auch nichts reuen. 

Standard: Wie machen Sie das?

Spoerri: Weiß ich nicht. (lacht). Vielleicht bin ich gefühlsarm.

Standard: Vielleicht können Sie gut Abschied nehmen?

Spoerri: In einem gewissen Alter ist das so. Es würde mir nichts ausmachen, wenn ich wüsste: Morgen um zwölf ist alles aus. Wissen Sie, ich rechne sehr stark damit, dass es bald aus ist.

Standard: Dass Sie bald sterben?

Spoerri: Ja. Und ich habe keine Angst davor, ich tue weiter, als wäre gar nichts. Ich schaue immer vorwärts, aber wenn man mir sagt: So, jetzt ist Schluss, dann ist es halt Schluss.

Standard: Fühlen Sie sich immer noch als "Universaldilettant"?

Spoerri: Ich habe mit dem Ursprünglichsten begonnen: dem Veitstanz. Dann ging ich ans Theater, das fand ich schließlich auch langweilig. Also ging ich nach Paris, machte Objekte, und eins ging ins andere über. Ich wundere mich heute noch, dass ich jetzt ein berühmter Künstler sein soll. 

Standard: Sie könnten es wie Marcel Duchamp halten, der am Ende sagte: "Vielleicht war ich nur Künstler".

Spoerri: Mag sein. Marcel mochte ich sehr; er war auch so illusionslos.

Standard: Sind Sie illusionslos?

Spoerri: Jedenfalls glaube ich nicht an den End-Sinn der Geschichte.

Standard: Worum geht's im Leben?

Spoerri: Um absolut gar nichts. Es geht darum, dass es das Leben überhaupt gibt. Wie das Gras einfach wächst und sich auch nicht fragt, warum.Und fertig. (Renate Graber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13.3.2011)