Warum gerade die Österreicher? In Sarajevo versteht niemand, weshalb der ehemalige General Jovan Divjak, der zu den tragenden Figuren der Zivilgesellschaft gehört, ausgerechnet in Wien verhaftet wurde, zumal er jahrelang - trotz Haftbefehls aus Belgrad - unbehelligt quer durch Europa reisen konnte. Divjak war etwa im Vorjahr in Paris und Berlin. Offene Kritik an Österreich wird von den Bosniern allerdings nicht geübt. Die kommt von außen. Der ehemalige Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, Christian Schwarz-Schilling - auf Besuch in Sarajevo -, kritisiert die "absolute Respektlosigkeit" der Internationalen Gemeinschaft, wenn es um jene 19 Personen geht, die Belgrad via Interpol seit 29. 12. 2008 suchen lässt.
Der ehemalige deutsche Postminister ist überzeugt, dass Belgrad Geschichtsrevisionismus betreiben will. "Hier wird eine systematische Umschreibung versucht", so Schwarz-Schilling. "Man hätte bereits nachdem die britische Justiz im Fall Ejup Ganić geklärt hat, dass es sich um eine politische Manipulation von serbischer Seite gehandelt hat, die gesamte serbische Liste mit den Haftbefehlen zu einem Hauptthema zwischen Europa und Serbien machen sollen", sagt Schwarz-Schilling zum Standard. Es gehe nicht um ein "rechtliches Problem". "Wenn Europa jetzt nicht gegenüber Serbien klarstellt, dass weitere Gespräche für eine Annäherung überhaupt erst infrage kommen, wenn Serbien offiziell und ohne jede Einschränkung die gesamte Liste zurückzieht, dann verteidigt Europa seinen Rechtsstaat nicht gegenüber Manipulationen totalitärer Ideologien", so Schwarz-Schilling. Der Fall zeige, wie weit Serbien von der Aufarbeitung des Völkermords entfernt sei. Man versuche die Dinge absichtlich im Unklaren zu halten.
Schwarz-Schilling betont, dass die Fakten über den Angriff in der Dobrovoljacka-Straße im Jahr 1992 ausreichend vom Gericht in London geklärt seien. Österreich brauche sich jetzt in einem schnellen Prozess nur auf das britische Urteil beziehen, Serbien habe inhaltlich nichts Neues nachgeliefert. "Österreich müsste Divjak aufgrund der Beweislosigkeit als freien Mann gehen lassen", so der Politiker. "Man soll sich nicht derselben Manipulation unterziehen lassen wie bereits die britische Justiz."
Der britische Richter Timothy Workman hatte im Juli 2010 die serbische Justiz scharf kritisiert. "Diese Verfahren werden aus politischen Gründen vorgebracht und genutzt und kommen als solche einem Missbrauch des Gerichtsprozesses gleich." Ganić war im März zuvor verhaftet worden.
In Bosnien wird der Fall Divjak indes zu einem Politikum. Der Präsident des Landesteils Republika Srpska, Milorad Dodik, sagte, Divjak und Ganić würden verhaftet, wenn sie die Republika Srpska betreten würden. Praktisch heißt das, dass sie sich schon ein paar Kilometer außerhalb von Sarajevo nicht mehr frei bewegen können. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo /DER STANDARD, Printausgabe, 12.3.2011)