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60.000 Menschen bildeten beim AKW Neckarwestheim eine 45 Kilometer lange Menschenkette.

Foto: APA/EPA/Murat

Berlin - Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg hat die Reaktor-Katastrophe in Japan die Atompolitik der Koalition wieder ins Zentrum der Wahlkämpfe gerückt. SPD, Grüne und Linke verlangten am Wochenende eine Kehrtwende der Regierung und einen schnellen Atomausstieg. Die Entscheidung zur AKW-Laufzeitverlängerung sei falsch gewesen. In Baden-Württemberg schlossen bis zu 60.000 Atomgegner eine Menschenkette vom Atomkraftwerk Neckarwestheim bis zum Regierungsviertel in Stuttgart. Kanzlerin Angela Merkel kündigte an, Konsequenzen für Deutschland zu prüfen. Nach einem derartigen Vorfall in einem so hoch technisierten Land wie Japan könne man aber auch in Deutschland "nicht zur Tagesordnung übergehen". Die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke warnten vor einer neuen Atomdebatte und verwiesen auf ihre Sicherheitsvorkehrungen. RWE kündigte an, seine AKW wie geplant länger am Netz lassen.

Nach einem Krisentreffen mit Außenminister Guido Westerwelle, Innenminister Hans-Peter Friedrich und Umweltminister Norbert Röttgen sagte Merkel am Samstagabend in Berlin, nun müssten die richtigen Lehren gezogen und die Sicherheitsanforderungen überprüft werden. Westerwelle ergänzte, falls sich in Japan ein Defekt im Kühlsystem des Reaktors bestätigen sollte, wäre zu untersuchen, ob es ähnliche Fehler auch hierzulande geben könnte. Merkel kündigte ein Sondertreffen der für Sicherheit zuständigen Ministerien von Bund und Ländern an sowie Gespräche mit EU-Energiekommissar Günther Oettinger.

Röttgen nannte die Atomkatastrophe in Japan, wo am Sonntag auch in einem zweiten der sechs Meiler der Atomanlage Fukushima 1 eine Kernschmelze drohte, eine Zäsur. Es stelle sich die Frage nach der der Beherrschbarkeit der Atomtechnik. "Ich finde, dass dieser Debatte nicht ausgewichen werden darf", sagte er der ARD. Zudem müsse man sich fragen, ob man nicht schneller zu anderen Energiequellen kommen müsse.

45 Kilometer gegen Atomkraft

Genau das forderten angesichts der Atomkatastrophe in Japan die Opposition und Zehntausende Atomkraftgegner. SPD-Chef Sigmar Gabriel verlangte, weltweit müsse aus der Atomenergie ausgestiegen werden anstatt mit neuen Kernkraftwerken die Risiken zu vergrößern. Die Risiken der Atomenergie seien völlig unvertretbar, "und wir müssen so schnell wie möglich aussteigen", sagte der frühere Bundesumweltminister "Spiegel Online". Auch führende Politiker von Grünen und Linken forderten einen schnelleren Atomausstieg.

Hingegen warnten Westerwelle und Röttgen davor, die Katastrophe parteipolitisch auszuschlachten. Auch Merkel sagte: "Heute ist nicht der Tag, um über abschließende Schlussfolgerungen zu sprechen." Die Kanzlerin machte deutlich, sie halte die Atomkraft als Brückentechnologie für vertretbar. "Der Schutz der Menschen ist aber immer oberstes Gebot."

Der Vorsitzende der Umweltschutzorganisation BUND, Hubert Weiger, kritisierte Merkel. Wenn die Kanzlerin AKW auf den Prüfstand stellen wolle, müsse das bedeuten, alle Atomkraftwerke in Deutschland abzuschalen, "die ältesten und gefährlichsten Anlagen sofort".

Konsequenzen

Das lehnen die deutschen AKW-Betreiber aber ab. "Alter ist kein Maßstab für die Sicherheit einer Anlage. Entweder ein Atomkraftwerk erfüllt die Sicherheitsanforderungen oder nicht", sagte das Vorstandsmitglied der RWE Power AG, Gerd Jäger, der "Welt am Sonntag". EnBW-Chef Hans-Peter Villis kritisierte, eine politische Diskussion in Deutschland um die Zukunft der Atomkraft könne aufgrund der noch ungesicherten Fakten jetzt technisch fundiert geführt werden. "Wir müssen die technischen Vorgänge in den japanischen Kernkraftwerken auf Basis gesicherter Erkenntnisse analysieren und uns dann fragen, welche Konsequenzen wir aus diesen Geschehnissen für unsere Kernkraftwerke ziehen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Die Organisatoren der 45-Kilometer-Menschenkette zwischen Neckarwestheim und Stuttgart erklärten, die Ereignisse in Japan seien der Beweis, dass selbst in einem Hochtechnologie-Land mit besonderer Sicherheitskultur nicht alle Risiken der Atomenergie beherrscht werden könnten. "Angela Merkel und Stefan Mappus werden merken: Wer Laufzeiten verlängert, verkürzt seine Regierungszeit", sagte Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation "ausgestrahlt". Für Montagabend kündigten Umweltorganisationen Mahnwachen und Aktionen gegen Atomenergie in mehreren deutschen Städten an.

Das Atomkraftwerk Neckarwestheim von EnBW ist eines der ältesten in Deutschland und wurde durch die Laufzeitverlängerung von Schwarz-Gelb vor der bevorstehenden Abschaltung gerettet. Ministerpräsident Mappus ist ein erklärter Befürworter der Atomenergie und hat das Land Baden-Württemberg mit 45 Prozent an EnBW beteiligt. (Reuters)