Freda Meissner-Blau (84) engagierte sich vor 1978 in der Anti-AKW-Bewegung und war 1986 bis 1988 erste Klubobfrau der Grünen.

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STANDARD: Die Atomkatastrophe in Tschernobyl erinnert ein wenig an die Diskussion um Zwentendorf, das 1978 nach einer Volksabstimmung nicht aufgesperrt wurde: Da war doch eines der wichtigsten Argumente von Alexander Tollmann, dass Zwentendorf auf einer Erd- bebenlinie liegt?

Freda Meissner-Blau: Richtig, das war ein wichtiges Sachargument: Zwentendorf liegt auf einer Bruchlinie von der Afrikanischen Platte, die über den Dobratsch bis zur Donau reicht. Tollmann hat vor einem Unfall ganz ähnlich dem gewarnt, den wir jetzt in Japan erleben. Das war sein Hauptargument. Aber ich hätte mir gewünscht, dass er politischer argumentiert.

STANDARD: Inwiefern?

Meissner-Blau: Ich habe das bedauert, weil dieses Argument keinen Hund hinter dem Ofen hervorholt. Dass es im Spätmittelalter ein Beben gegeben hat und dass das wieder auftreten könnte, hat keinen Politiker beeindruckt.

STANDARD: Womit konnte die Anti-AKW-Bewegung denn punkten?

Meissner-Blau: Mit der Drohung an die Politiker: Wir wählen Euch nicht mehr. Reagiert haben die erst, als wir zu Tausenden von Tulln nach Zwentendorf marschiert sind - das hat Eindruck gemacht. Da waren Leute dabei, die aus Vorarlberg angereist sind, um dabei zu sein. Und da ist manchen aufgefallen: Da tut sich etwas.

STANDARD: Man sagt: Die Geburtsstunde der Grün-Bewegung.

Meissner-Blau: Bitte schön: Das ist ein Märchen. Es ist ein Märchen, dass die Grünen in Zwentendorf entstanden sind. Es ist ein Märchen, dass die Grünen in Hainburg entstanden sind. Es ist auch ein Märchen, dass sie durch Tschernobyl zusammengefunden haben. Bei der großen Demonstration in Zwentendorf da war doch keiner von den heutigen Grünen dabei, das waren grün-bewegte Linke, aber das waren nicht die Grünen.

STANDARD:Um bei der historischen Entwicklung zu bleiben: Tollmann hat 1982, vier Jahre nach der Zwentendorf-Abstimmung und ein Jahr vor der Nationalratswahl 1983, die Vereinten Grünen Österreichs (VGÖ) gegründet. Er ist aber politisch gescheitert. Woran?

Meissner-Blau: Weil er ein Einzelkämpfer war. Ich habe ihn als einen wunderbaren Menschen kennengelernt, wunderbar engagiert und wohl ein toller Professor, der mit seinen Studenten geologische Exkursionen gemacht hat. Aber er wollte halt überall der Chef sein.

STANDARD: Zum Wahlerfolg, den Ihre Partei "Grüne Alternative - Liste Freda Meissner-Blau" 1986 hatte, hat die Atomkatastrophe von Tschernobyl nicht beigetragen?

Meissner-Blau: Tschernobyl hat sicher manchen die Augen geöffnet - auch dafür, wie die Politiker damit umgegangen sind. Aber dass wir überhaupt antreten konnten, hat sich in endlosen Sitzungen ergeben. Günther Nenning war gut darin, Statuten zu schreiben, Pius Strobl hat die Liste dann im letzten Moment eingereicht. Aber in den Diskussionen davor, mit Leuten von VGÖ, Alternativer Liste Links, Alternativer Liste Mitte, Bürgerinitiative Parlament - in diesen Diskussionen ist es nicht um Atomkraft und kaum um grüne Themen gegangen - da hat man lieber nächtelang die Geschäftsordnung besprochen. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Sonderausgabe, 13.3.2011)