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WartendeLeute in einem Evakuierungszentrum ineiner Volksschule der Küstenstadt Sendai. Hunderttausende Menschen sollen nach dem Beben obdachlos sein.

Foto: Reuters

Tokio - Allein in der Hafenstadt Minamisanriku werden laut dem öffentlich-rechtlichen Sender NHK rund 10.000 Menschen vermisst. Offiziell ging die japanische Regierung am Samstag von rund 1700 Toten aus. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden bisher 621 Leichen geborgen, 645 Menschen gelten als vermisst. Etwa 210.000 Menschen verloren ihr Zuhause.

Zudem kam es am Tag nach dem Tsunami zu einer Reihe von teils schweren Nachbeben: Die US-Wissenschaftsbehörde United States Geological Survey registrierte seit Freitag allein 25 Beben ab der Stärke 6 und über 150 schwächere Nachbeben. Auch weit vom Epizentrum entfernte Gegenden wurden von Nachbeben erschüttert.

In den am stärksten betroffenen Gebieten an der Ostküste der japanischen Hauptinsel Honshu wurde am Tag nach dem Beben der Stärke 8,8 und dem verheerenden Tsunami indes das Ausmaß der Zerstörungen deutlich: Die meterhohe Flutwelle hatte Schiffe, Häuser, Autos und Menschen bis weit ins Land hinein mitgerissen, das Küstengebiet wurde großflächig überschwemmt. Raffinerien brannten, noch immer stiegen dicke Rauchsäulen in den Himmel.

EU aktiviert "Zivilschutzmechanismus"

Viele Menschen verbrachten die eiskalte Nacht frierend im Freien auf den Dächern umfluteter Häuser. Rund 21.000 Menschen mussten auch am Samstag noch in Notunterkünften versorgt werden. Regierungschef Naoto Kan, der die Katastrophenregion am Samstag besuchte, rief seine Bürger auf, die beispiellose Katastrophe gemeinsam zu bewältigen.

In fünf Provinzen betrieben Einsatzkräfte 1340 Notlager für die Opfer. Unterdessen begannen die Einsatzkräfte mit ersten Aufräumarbeiten. Die Regierung ließ bereits tausende Soldaten, 300 Flugzeuge und 40 Schiffe mobilisieren, um den Menschen in der betroffenen Küstenregion zu Hilfe zu kommen. Sie bat zudem die im Land stationierten 50.000 US-Soldaten um Unterstützung.

Auch die EU soll helfen. Notwendig sind vor allem Such- und Rettungstrupps - insbesondere Suchhunde zum Aufspüren der Verschütteten. Die EU sagte Unterstützung zu und aktivierte den "Zivilschutzmechanismus". Dabei werden die Hilfeleistungen der 27 EU-Länder und von Island, Kroatien, Liechtenstein und Norwegen koordiniert.

Fünf Experten aus Österreich

Österreich hat sich bereit erklärt, fünf Experten bereitzustellen, die im Katastrophengebiet abklären könnten, welche Hilfsmaßnahmen erforderlich sind. Die Entscheidung, ob die fünf Fachleute mit internationaler Erfahrung nach Japan reisen, liegt nun laut Innenministerium bei der EU beziehungsweise Uno.

Die Vereinten Nationen wollen jedenfalls ein eigenes Einsatzteam bereitstellen. Generalsekretär Ban Ki-moon will Japan "jede erdenkliche Hilfe" anbieten. Auch die USA sagten Unterstützung zu, Präsident Barack Obama will einen Flugzeugträger schicken. Das US-Verteidigungsministerium stellte zudem Marineschiffe mit Hilfsgütern in Aussicht. Auch das Ende Februar von einem Erdbeben der Stärke 6,3 erschütterte Neuseeland kündigte an, in Japan zu helfen.

Die Kommunikation ist in den betroffenen Gebieten indes noch immer schwierig, da Telefonleitungen zusammengebrochen sind und der Strom nur eingeschränkt funktioniert. Auch das Mobilfunknetz brach zusammen. Mehr als acht Millionen Haushalte waren ohne Strom und Telefon, in hunderttausenden Haushalten fielen auch Gas und Wasser aus. In Tokio stecken rund eine Million Pendler steckten fest, das U-Bahn-System und andere Teile des öffentlichen Verkehrs waren lahmgelegt.

Das gewaltige Beben hatte Japan am Freitag gegen 14.45 Uhr Ortszeit (6. 45 Uhr Mitteleuropäische Zeit) erschüttert. Das Epizentrum lag etwa 382 Kilometer nordöstlich von Tokio, hundert Kilometer vor der Küste.

Japanische Hauptinsel um 2,4 Meter verschoben

Das Beben ereignete sich in einer Tiefe von 24,4 Kilometern und war bis nach Tokio zu spüren. Im gesamten Pazifikraum waren danach in etwa 50 Ländern zeitweise Tsunami-Warnungen ausgelöst worden. In Kalifornien wurde ein junger Mann von der Welle mitgerissen und ertrank. In Ecuador waren mehr als 260.000 Menschen aus küstennahen Regionen in Sicherheit gebracht worden, in Chile wurden ebenfalls zehntausende Bewohner aus tiefgelegenen Küstenstrichen in höheres Gelände gebracht.

In Indonesien tötete die Flutwelle einen Menschen und zerstörte etliche Häuser. Die von dem Erdbeben vor Japan ausgelöste Welle war etwa zwei Meter hoch, als sie gegen Mitternacht einen Küstenabschnitt in Papua auf der Insel Neuguinea überflutete.

Nach Angaben von Wissenschaftern hat das Erdbeben mit seiner Wucht große Landmassen verschoben und den Lauf der Welt verändert. Die japanische Hauptinsel sei um 2,4 Meter verrückt worden, sagte Kenneth Hudnut von der US-Geologiebehörde. Laut dem italienischen Institut für Geophysik und Vulkanologie soll das Beben mit einer Stärke von 8,9 außerdem die Achse der Erdrotation um rund 10 Zentimeter verschoben haben. Das wäre wahrscheinlich die größte Verschiebung durch ein Erdbeben seit 1960, als Chile erschüttert wurde. (red, DER STANDARD, Sonderausgabe, 13.3.2011)