Das Säbelrasseln der Demokratien, die den libyschen Despoten einst unterstützten, ist nachvollziehbar, aber ist es auch realistisch? Und: Wäre es mittlerweile nicht ratsamer, eine Lösung mit als gegen Gaddafi zu suchen?

Demokraten verabscheuen Tyrannen, doch ihre Dienste nehmen sie gern. So könnte man ein bekanntes Goethe-Wort abwandeln, welches sich im Original auf den "Franzmann" und seine Weine bezog.

Ganz gleich, worum es sich im einzelnen handelt, liegt die besondere Attraktivität der Dienste von Tyrannen in ihrer Stabilität. Sind Tyranneien einmal etabliert, so halten sie sich nach einigen Anfangsturbulenzen über längere Zeiträume. Die Unwägbarkeiten fixer Amtsperioden, parlamentarischer Fluktuationen und regelmäßiger seriöser Wahlen entfallen. Sie trotzen fast wie der legendäre Fels in der Brandung demokratische Überraschungen. Es ist auch gar nicht schwer, sie bei Laune zu halten. Saftige Waffenlieferungen (auch high tech), zeremonielles Entgegenkommen, Verzicht auf aufdringliche demokratische Prinzipienreitereien und nur homöopathische Menschenrechtsschelten sind schon ganz gute Ansätze, die sich beliebig ausbauen und wirtschaftlich nutzen lassen. Aber nicht nur, es gibt auch außenpolitische Renditen, wie etwa beim Keilen von Stimmen für eigene Anliegen in UN (oder vergleichbaren) Gremien.

Kurzum. Zwischen Tyranneien und Demokratien bestehen durchaus symbiotische Beziehungen . Sie kippen allerdings schlagartig, wenn die Tyranis Schwächen zeigt. Dann entwickeln Demokratien große Behändigkeit, sich von ihnen zu lösen und die Spuren der früheren Kumpaneien zu verwischen. Der demokratische Wertekanon wird wieder laut poliert und hoch gehalten

Perfektes Dilemma

Von all dem können Muammar Gaddafi, Hosni Mubarak und Abidine Ben Ali ein Lied singen. Alle drei waren in Kreisen demokratischer Regierungen einschließlich der USA nicht nur wohl gelitten, sondern durchaus umgarnt (Libyen im UN Menschenrechtsbeirat!! Übrigens auch Tunesien) und für manche politische Unternehmungen genutzt worden. Sie wurden, keineswegs von außen, sondern nach allem, was wir so erfahren konnten, von innen gestürzt. Das erhöht nicht nur ihre, sondern auch die Schmach westlicher Geheimdienste, die dem Vernehmen nach völlig überrascht waren.

Anders als Hosni Mubarak und Abidine Ben Ali fügt sich Muammar Gaddafi, übrigens ohne offizielles Staatsamt, nicht ergeben in sein Schicksal, zieht sich nicht zurück, sondern, lässt brutal und blutig für sich kämpfen und zwar gegen die eigene Bevölkerung. Einen anderen Gegner gibt es zunächst ja auch nicht. Damit bringt er seine früheren Gönner unter den demokratischen Regierungen in arge Verlegenheit. Schon fast eine gelungene Rache. Einerseits müssten sie gegen sein brutales Vorgehen zur Wahrung der Menschenrechte und aller von ihnen hochgehaltenen Prinzipien entschlossen einschreiten und andererseits wissen sie um die Grenzen ihrer militärischen Möglichkeiten. Ein perfektes Dilemma!

Dazu gehört auch die enorme Ausdehnung des Landes. Mit seinen 1,7 Mio. km2 ist Libyen der 16. größte Flächenstaat der Erde. Es ist etwa doppelt so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen. Das sind Dimensionen, die bei allen auch nur irgendwie militärisch angehauchten Strategien, wie etwa die Errichtung von Flugverbotszonen zu berücksichtigen sind, ohne das hier näher ausführen zu können.

Diese Idee der Errichtung von Flugverbotszonen wird vor allem von Exponenten der paramilitärischen Formationen der Opposition gegen Gaddafi propagiert. Hilfe durch fremde Bodentruppen lehnen sie aber vehement ab. Kaum zu glauben, wenn man die Bilder von ihrer skurrilen Ausrüstung sieht. Was sie verlangen, ist das Niederhalten der libyschen Luftwaffe. Den Truppen Gaddafis einer Melange regulärer Armee, Milizen und offenbar auch Söldnern fühlen sie sich gewachsen. Ein täuschungsträchtiges Gefühl, denn die von ihnen im Osten des Landes gehaltenen Gebiete schmelzen dahin. Am Tag der Endredaktion dieses Beitrages scheint nach Medienmeldungen nur mehr Bengasi und Umfeld in ihrer Hand zu sein. Die Zeit läuft – für Gaddafi.

Das hat offenbar auch der Rat der Arabischen Liga erkannt, als er am selben Tag allerdings nur mehrheitlich den UN-Sicherheitsrat (UN SR) aufgefordert hat, über Libyen eine Flugverbotszone errichten zu lassen. Damit hängt die weitere Vorgangsweise vom UNSR ab. Sollte Gaddafi allerdings noch vor einem UN-Beschluss wieder die volle Kontrolle über Libyen erlangen, dann wird es schwierig. Weil dann die Souveränität des Staates unter einer wie sehr nunmehr auch immer von demokratischen Regierungen verachteten Führung wieder hergestellt wäre.

Ab dann wären jedenfalls alle Versuche, die Lebensverhältnisse in Libyen von außen umzugestalten, von vornherein dem Vorwurf der Einmischung in "innere Angelegenheiten" ausgesetzt und mit großer Wahrscheinlichkeit im UNSR nicht durchsetzbar. Das Recht auf oder gar die Pflicht zur Intervention aus humanitären Gründen ist nämlich entgegen vieler Hoffnungen (noch) nicht allseits anerkannter Bestand des allgemeinen Völkerrechtes.

Fragwürdige Maxime

Der französische Staatspräsident Sarkozy hat die Ideenbörse zur Bewältigung des Libyen-Dilemmas durch die spontane Anerkennung eines nicht näher identifizierbaren "Nationalrates" der libyschen Opposition als alleinige Vertretung des Landes erweitert. Abgesehen davon, dass sich eine solche Vorgangsweise bei einem Sieg Gaddafis ohnehin erledigt, schafft er damit mehr neue Probleme als er zu lösen vermag. Denn damit treibt er das Land in einen tatsächlichen Bürgerkrieg – mit der Regierung Gaddafis auf der einen und einem marionettenhaften Kunstgebilde ohne tatsächliche Vertretungsmacht auf der anderen Seite. Und alle Staaten, die Frankreich darin folgten, wären über kurz oder lang gezwungen, entweder ihre Marionette militärisch zu unterstützen oder sie schmählich fallen zu lassen.

Zur Stunde sollten mehr Anstrengungen unternommen werden, die Libyenfrage eher mit als gegen Gaddafi und vielleicht auch seine Söhne zu lösen. Die Einleitung von Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Gaddafi unterstützt zwar die Posaunen zur Wiederentdeckung der Humanität und Menschenrechte der europäischen und atlantischen Demokratien als außenpolitische Maxime, hilfreich und "g‘scheit" war das aber nicht. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.3.2011)