Betrifft: Gastkommentar "Wie viel Erdbebengefährdung ist Parlamentariern zumutbar" von Andreas Lehne, Der Standard, 10. 3. 2011
Die Polemik von Andreas Lehne lässt wesentliche Fakten außer Acht und unterstellt den Projektverantwortlichen einen Hang zu einer realitätsfremden Maximalvariante, gepaart mit Kompromisslosigkeit. Es werde versucht, einen ererbten Rolls-Royce mit allen Komfort- und Sicherheitsmerkmalen eines heutigen Modells auszustatten. Und das verursache exorbitante Kosten. Die Gulden-Euro-Umrechnung samt plakativer Behauptung, die jetzige Sanierung sei "dreimal so teuer" wie der seinerzeitige Bau des Parlamentsgebäudes, ist unbeschwert von jeder Sachkenntnis um die tatsächliche Baupreisentwicklung in den vergangenen 130 Jahren. Auch wird eine faire Identifikation von Management-, Umzugs- und Interimskosten unterlassen.
Frage der Abwägung
Die Fakten: Die notwendige Sanierung macht den Großteil der geschätzten Kosten aus, exakt 259,8 Mio. Euro. Mit weiteren Maßnahmen um 39,7 Mio. Euro könnte die Effizienz des Betriebes gesteigert werden, wobei sich diese Investitionen innerhalb von 10 bis 15 Jahren amortisieren würden. Um beim angezogenen Vergleich zu bleiben: Jeder verantwortungsbewusste Autobesitzer würde sein ererbtes Fahrzeug - egal ob Rolls-Royce oder Golf - bei akzeptablen Mehrkosten mit Sicherheitsgurten, neuen Reifen oder Katalysator nachrüsten, um mit dem Oldtimer dem Kraftfahrgesetz entsprechend am heutigen Straßenverkehr teilnehmen zu können. Alles eine Frage vernünftiger Abwägung.
Die dynamische Gebäudeerhaltung ist keinesfalls ein "konstruierter Sachzwang" für eine mutwillige Überfrachtung des Hauses, wie vom Autor behauptet. Vielmehr handelt es sich dabei um die klare und richtige Zuweisung von Verantwortung für Leib und Leben an den Eigentümer. Dieser ist per Gesetz verpflichtet, das Gebäude laufend am Stand der Technik zu halten. Unterlässt er das, kann er im Schadenfall strafrechtlich bzw. zivilrechtlich belangt werden. Den gesetzlichen Auftrag zur dynamischen Gebäudeerhaltung in Frage zu stellen, ist schlichtweg unseriös. Ebenso der Versuch, das Projekt auf Erdbebensicherheit zu reduzieren. Auch dazu die Fakten:
Wesentliche Baumaßnahmen, die für den Brandschutz (z. B. Deckenverstärkungen) sowie zur Erfüllung der Evakuierungsvorschriften (z. B. Einbau zusätzlicher Fluchttreppen) notwendig sind unterstützen die Anforderungen zur Aufnahme von Horizontalkräften gemäß den Eurocodebestimmungen. Diese sind ebenfalls einzuhalten.
Vor allem der Denkmalschutz ist bei der Sanierung des Parlamentsgebäudes von großer Bedeutung und im Hinblick auf die baulichen und strukturellen Eingriffe selbstverständlich zu berücksichtigen. Unbestritten ist, dass das Parlamentsgebäude zu den Repräsentativbauten an der Wiener Ringstraße zählt, ein architektonisches Juwel von internationalem Rang und auch eine touristische Attraktion ist.
Dieses wertvolle österreichische Kulturgut gilt es zu bewahren und zugleich für eine zeitgemäße Nutzung fit zu machen. Dazu wurde das Gesamtkonzept in intensiver Zusammenarbeit und in vielen Gesprächen mit dem Bundesdenkmalamt abgestimmt.
Dass andere historische Objekte ähnliche Alterssymptome aufweisen, ist richtig, jedoch ein anderes Thema.
Alle Gutachten und Konzepte zum Sanierungsprojekt sind auf der Homepage des Parlaments unschwer einzusehen. Sie belegen, dass die notwendigen Maßnahmen einen sinnvollen Kompromiss aus technischen Notwendigkeiten und Potenzialen des Bestandes darstellen. (Martin Schrehof, DER STANDARD; Printausgabe, 17.3.2011)