Wien - Menschen, die Kinder, Partner und Verwandte verloren haben und von deren Häusern nur noch Schutthaufen übrig geblieben sind: Wenn wie in Japan zu einem Erdbeben noch ein Tsunami und die Angst vor nuklearer Verstrahlung hinzukommt, steigere dies das Risiko einer Traumatisierung, sagt die Wiener Psychotherapeutin und Traumaexpertin Silvia Franke.

"Es gibt keine Möglichkeit, das Ereignis zu beenden, und der Stress steigt, weil der Körper und die Psyche nicht mehr zur Ruhe kommen." Allerdings schalte der Körper bei Katastrophen dieses Ausmaßes ab einem gewissen Punkt die ständige Alarmbereitschaft ab, die Menschen würden eher apathisch.

Bei der Verarbeitung gibt es Unterschiede in Bezug auf das ursächliche Ereignis: Opfer von Gewalttaten würden eher dazu neigen, die Schuld bei sich selbst zu suchen - und sich fragen, ob sie die Tat nicht verhindern hätten können, schildert Franke. Bei Naturkatastrophen wiederum kann die Tatsache, dass alle gemeinsam betroffen sind, eine gewisse Entlastung bedeuten. Wichtig sei vor allem eine möglichst frühe Hilfe bei der Traumabewältigung.

Depressionen

Posttraumatische Belastungsstörungen können sich unter anderem in Aggressionen, Depressionen oder Angstzuständen äußern. Die Betroffenen können Gefühle der Sinnlosigkeit oder des Ausgeliefertseins entwickeln, und jede kleinste Erinnerung an das Trauma kann Herzrasen, Zittern, Atemnot und Ohnmachtsanfälle auslösen.

Im Nordosten Japans sind auch etwa 100.000 Kinder seit dem Erdbeben obdachlos. Bei ihnen verlaufe die Latenzphase - der Zeitraum zwischen dem traumatisierenden Ereignis und dem Auftreten einer Belastungsstörung - anders als bei Erwachsenen. "Wenn man auf Kinder nicht aktiv zugeht, zeigen sie oft erst Jahre später Symptome", sagt der Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger. Bei Kleinkindern setzt die Therapie etwa auf Zeichnungen oder Märchen - ab einem Alter von zwölf, 13 Jahren könne man auf verbale Methoden zurückgreifen, erläutert Berger. Bevor überhaupt an Therapie gedacht werden kann, müsse das Überleben gesichert werden. Berger: "Die Kinder brauchen ein Dach über dem Kopf und sollten möglichst bei vertrauten Menschen sein." (DER STANDARD Printausgabe, 17.3.2011)