ModeratorIn: Wir begrüßen Max Santner, Leiter des Bereichs "Internationale Hilfe" beim Österreichischen Roten Kreuz und freuen uns auf die Fragen der UserInnen!

Max Santner: Ich möchte die UserInnen des Standard.at recht herzlich begrüßen und freue mich auf ihre Fragen zu der humanitären Situation in Japan.

UserInnenfrage per Mail: Weite Landstriche sind zerstört, das Trinkwasser in der Nähe der Kraftwerke kontaminiert. Wo fängt man da als Helfer eigentlich an, was sind die wichtigsten Sofortmaßnahmen? Vielen Dank. H. Eberspächer.

Max Santner: Die Phase der Sofortmaßnahmen ist eigentlich schon vorbei, in den ersten Phasen geht es ums Bergen und Retten. In der zweiten Phase müssen die Überlebenden bzw. Verletzten betreut werden. Auch hier ist schon weitgehend eine Stabilisierung eingetreten. In der nächsten Phase geht es wieder darum die notwendige Infrastruktur herzustellen, Strom, Gas, Telefon, Straßen, etc. und ganz wichtig ist, dass die traumatisierten Menschen auch psychologisch betreut werden.

UserInnenfrage per Mail: Sehr geehrter Herr Santner: Wieviele Krisenhelfer des ÖRK befinden sich derzeit in Japan? Was sind momentan Ihre Hauptaufgaben? Mit welchen Problemen haben Sie zu kämpfen?

Max Santner: Es befinden sich keine Krisenhelfer des ÖRK vor Ort, das ist auch nicht notwendig. Das Japanische RK verfügt über ausgezeichnete Notfallteams und in Japan stehen den Notfallhelfern tausende Freiwillige zur Seite. Die Hauptprobleme liegen zur Zeit in logistischen Fragen. Das heißt, wie bringe ich Benzin, wie bringe ich Hilfsgüter generell zu den Menschen die in vielen Notunterkünften untergebracht sind. Erschwerend kommt zur Zeit sicher die klimatische Situation dazu.

UserInnenfrage per Mail: Die Situation ist noch immer unberechenbar. Was sind die Absicherungsmaßnahmen, um die Helfer nicht zu gefährden?

Max Santner: Ich nehme an Sie beziehen sich auf die Strahlengefahr. Sowohl die Helfer des Zivilschutzes als auch Helfer des Japanischen RK sind mit Meßgeräten ausgerüstet, wenn entsprechende Grenzwerte erreicht werden, müssen diese Helfer entweder gänzlich oder temporär das Einsatzgebiet verlassen.

UserInnenfrage per Mail: Walter Hirscher: Wie rasch muss man nach einem Erdbeben helfen, wie lange können Verschüttete lebend geborgen werden? Wie wird es nach der Akutphase der Hilfe weiter gehen?

Max Santner: Die Lehrmeinung ist dass nach einem Erdbeben Lebendbergungen bis zu 72 Stunden nach dem Beben möglich sind. Allerdings gibt es immer wieder Ausnahmen so wie wir es jetzt in Japan erlebt haben. Zur Akutphase siehe vorherige Frage, was aus meiner Sicht interessant ist, dass wir bereits Bilder sehen wo Übergangsquartiere gebaut werden. Das ist nach dem Ausmaß dieser Katastrophe bemerkenswert.

insert name: War der japanische Kat.Schutz auf die größe des Ereignis vorbereitet, oder gab es schon Einsatzpläne für ein derartiges Szenario

Max Santner: Der japanische Katastrophenschutz und auch das Japanische RK zählen sicher zu den weltweit am besten vorbereiteten Organisationen. Allerdings übersteigt das Ausmaß der dreifach Katastrophe auch diese Kapazitäten. Trotzdem bin ich eigentlich zuversichtlich, sollte nicht wirklich der atomare Super-GAU stattfinden, dass die Japaner diese Katastrophe physisch rascher bewältigen werden als wir glauben. Es wird zu einer kollektiven Anstrengung kommen, wo die Japaner der Welt beweisen werden wollen, dass sie auch mit so einer Katastrophe fertig werden.

UserInnenfrage per Mail: Wie schildern die japanischen Rotkreuz-Experten die Schäden in Japan?

Max Santner: Solche Schäden, die über einen Küstenstreifen von mehr als 400km gehen, haben auch unsere Experten noch nie gesehen. Bemerkenswert ist, dass durch das Erdbeben selbst wenig zerstört war, die großen Zerstörungen gehen eindeutig auf die Kraft der Riesenwelle zurück. Eines der mittel- und langfristigen Hauptprobleme wird sicherlich die psychische Bewältigung der Katastrophe sein.

UserInnenfrage per Mail: Wie wird den Helfern nach Ende ihres Einsatzes geholfen? Durch Peers oder externe Betreuung?

Max Santner: In Österreich gibt es sogenannte Kriseninterventionsteams, die auch die Helfer während und nach der Arbeit betreuen. Wie das in Japan abläuft, kann ich von hier aus nicht sagen. Meistens sind Krisenbewältigungen im kulturellen Kontext zu handhaben.

UserInnenfrage per Mail: Richard Prickl: Wie ist die Zusammenarbeit mit Japan? Gibt es da Verbesserungswünsche?

Max Santner: Das Japanische RK hat per Gesetz gegenüber der Regierung den Status eines "auxilary to the authorities". Dementsprechend gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen dem japanischen Zivilschutz und dem Japanischen RK. Dies gilt vorallem in der medizinischen und psychosozialen Betreuung.

UserInnenfrage per Mail: Katharina Bene: für Außenstehende ist die derzeitige Lage schwer einschätzbar. Braucht Japan als drittreichstes Land der Welt zur Zeit jede Spende oder sollte man Zuwendungen besser anderen von Katastrophen heimgesuchten Ländern zukommen lassen, der

Max Santner: Stellen Sie sich die Situation in Österreich vor: ein Drittel des Landes ist schwer zerstört, es gibt zigtausende Tote. In so einem Szenario wären tausende Helfer, unter anderem Rot-Kreuz-Einheiten, bis ans Äußerste gefordert. In dieser Situation, speziell für den darauffolgenden Wiederaufbau, wären wir auch als reiches Land um jeden Spendeneuro - sei es aus dem Inland oder sei es aus dem Ausland - froh, um diese Situation bewältigen zu können.

STJ911.org: Zu Santners voriger Antwort "wenn entsprechende Grenzwerte erreicht werden, müssen diese Helfer entweder gänzlich oder temporär das Einsatzgebiet verlassen." Wie hoch sind diese Grenzwerte konkret (in Zahlen) ?

Max Santner: Meines Wissens gibt es hier selbst unter Experten Diskussionen, leider kann ich Ihnen diese Frage konkret nicht beantworten.

Sabine Lichter: Das ÖRK leitet Spenden ja direkt an das japanische Rote Kreuz weiter. Wie steht es im Falle dieser Katastrophe um die Hilfsbereitschaft der ÖsterreicherInnen?

Max Santner: Wir wissen dass viele ÖsterreicherInnen emotional sehr stark betroffen sind und es nicht nur seitens der ÖsterreicherInnen, sondern auch seitens der Bundesregierung eine hohe Bereitschaft besteht, Japan solidarisch zur Seite zu stehen. Es ist noch zu bald um hier endgültig Zahlen zu nennen.

UserInnenfrage per Mail: Guten Tag. Inwieweit unterscheidet sich die Situation in Japan von jener in Thailand nach dem Tsumai 2004?

Max Santner: Die Art der Katastrophe ist durchaus vergleichbar, auch in Thailand hat die Regierung und der Zivilschutz den Umständen entsprechend rasch und effizient agiert. Dass es bei einer solchen Katastrophe, sowohl in Japan als auch in Thailand, zu teilweise auch chaotischen Umständen kommt, ist verständlich. Bemerkenswert ist, dass bei beiden Kastastrophen ein enorm starkes kollektives Zusammenarbeiten der betroffenen Bevölkerung bei der Bewältigung der Katastrophe zu beobachten ist.

UserInnenfrage per Mail: Muss man in den Gebieten, die mit Wasser und Medikamenten unterversorgt sind, den Ausbruch von Infektionskrankheiten befürchten?

Max Santner: Nein, muss man nicht befürchten.

UserInnenfrage per Mail: Otto Weichsler, Gutenbrunn: Wie lange werden ihrer Einschätzung nach die Aufräumarbeiten dauern? Ich meine, bis man überhaupt erst mit dem eigentlichen Bauen geginnen kann?

Max Santner: Das wäre wie aus einer Glaskugel lesen. Nach meiner Einschätzung wird es verhältnismäßig rasch gehen. Wir sehen ja schon heute dass Notunterkünfte errichtet werden und parallel dazu finden auch schon Aufräumungsarbeiten statt. So sind zahlreiche Straßen schon wieder passierbar.

UserInnenfrage per Mail: Kann man sich Kooperationen mit anderen Einsatzorganisationen wie der Feuerwehr vorstellen, um vor Ort den Sucheinsatz besser gewährleisten zu können (die Feuerwehr hat ja auch einen Katastrophenhilfsdienst)?

Max Santner: Selbstverständlich findet diese Kooperation mit der Feuerwehr statt. Auch in Österreich wäre das so, hier wären vorallem Bundesheer, Polizei, Feuerwehr und Rotes Kreuz gefordert.

tco99: wie werden die hilfseinsätze eigentlich koordiniert. also wer sagt, wem was wann gebraucht wird?

Max Santner: In Japan ist die zentrale Katastrophenschutzbehörde für die Koordination verantwortlich. Diese untersteht direkt dem Premierminister.

UserInnenfrage per Mail: Ist das Rote Kreuz zur Zeit auch in den arabischen "Krisenregionen" wie etwa Tunesien oder Libyen präsent? Kann ich für diese Länder etwas spenden oder ist das noch zu früh? Vielen Dank für die Beantwortung. Marietta Welser, Salzburg

Max Santner: Die Rot-Kreuz/Rot-Halbmond-Bewegung ist in 186 Ländern der Welt vertreten. Auch in Libyen, Tunesien und Ägypten versuchen die nationalen Gesellschaften die humanitären Herausforderungen der Krise in Nordafrika zu bewältigen. So wird zum Beispiel an der libysch-tunesischen Grenze ein großes Flüchtlingslager betreut. Auch für die Bewältigung dieser Krise braucht man finanzielle Mittel und auch hier würden wir uns darüber freuen seitens der österreichischen Bevölkerung Unterstützung zu bekommen.

tweedy3: Ich wollte via RK-Homepage für Ihren Japan-Einsatz spenden, habe dann aber spontan für RK-Einsätze in Libyen gespendet. Ist es für Sie ein Problem, wenn eine Riesenkatastrophe wie in Japan andere Brennherde in den Schatten stellt?

Max Santner: Es gibt immer wieder sogenannte nicht sichtbare oder "schleichende" Katastrophen, die sich nicht im medialen Scheinwerferlicht wiederspiegeln (Bsp. Ost-Kongo). Hier gibt es genauso enorme humanitäre Herausforderungen, bei denen es notwendig wäre zu helfen.

escandalo!: Zum Thema Spenden: Am Beispiel Haiti wurde kritisiert, dass viele der weltweit gesammelten Spenden die Opfer nach wie vor nicht erreicht haben. Wer verspricht mir als jemand, der Hilfe leisten möchte, dass meine Spende nicht für überbezahlte Manager

Max Santner: Haiti: hier muss man unterscheiden wie weit Mittel von der Staatengemeinschaft versprochen wurden bzw. von nicht staatlichen Hilfsorganisationen umgesetzt werden. Zu Ersterem, es ist richtig, die Staatengemeinschaft hat bei Haiti erst einen Bruchteil der zugesagten Finanzmittel der haitianischen Regierung zur Verfügung gestellt. Die Mittel für Hilfsorganisationen verlassen nicht den Finanzkreislauf der Organisationen und sind in ihrer Verwendung im Regelfall sehr transparent und nachvollziehbar. Zu den "überbezahlten" Managergehältern, ich kenne unter meinen Kolleginnen und Kollegen keine Einzige/keinen Einzigen, der die Tätigkeit in der humanitären Hilfe aus monetären Gründen ausübt.

kamelchen mag viel laufen: wie passt die internationale spendenaufforderung mit der tatsache zusammen, dass die bank of japan 3stellige milliardensummen auf den markt wirft. am geld kanns ja wohl nicht scheitern.

Max Santner: Ich nehme an Sie beziehen sich auf Stützungskäufe für die japanische Währung. Nachdem ich kein Finanzexperte bin, wage ich hier keine Einschätzungen. Tatsache ist, dass Japan in den nächsten Jahren Milliardenbeträge für einen Wiederaufbau braucht, auch in Österreich würde uns die internationale Gemeinschaft bei einer vergleichbaren Katastrophe finanziell zur Seite stehen.

LordHelmchen: Welche Maßnahmen würde das ÖRK bei einem Strahlenunfall in einem der grenznahen Atomkraftwerke als erstes durchführen?

Max Santner: Das ÖRK darf man bei einem Strahlenunfall nicht isoliert betrachten, sondern speziell die Landesverbände des ÖRK würden gemeinsam mit dem Bundesheer und Einsatzorganisationen tätig werden. Im Falle eines grenznahen Strahlenunfalles ist vorallem ein gut funktionierendes Informationssystem notwendig. Darf ich Sie auf unsere Homepage verweisen, wo zu ergreifende Maßnahmen bei Strahlenunfällen beschrieben werden www.roteskreuz.at

lechner sepp: Gibt es Strategien, wie mit den immer mehr werdenden und verherrenden Katastrophen umgegangen wird, irgendwann werden ja auch die ressouren zum helfen knapp.

Max Santner: Tatsache ist, dass geophysikalische Katastrophen (Erdbeben, Vulkane) nicht zunehmen, sondern statistisch gesehen gleich bleiben. Andererseits nehmen Stürme, Überflutungen, Hitzewellen zu. Gerade in diesem Zusammenhang beobachten wir, dass immer mehr Menschen in Risikogebieten siedeln und dementsprechend Überflutungen, etc. stärker ausgesetzt sind (Überflutung in Pakistan). Diese Erkenntnisse führen dazu, dass nicht nur in Industrieländern, sondern auch in Entwicklungsländern Investitionen in der Katastrophenvorsorge verstärkt werden. Falls es in kurzer Zeit zu mehreren Katastrophen kommt (Bsp. 2004/05: Tsunami und Erdbeben in Pakistan) kann es tatsächlich vorkommen, dass es bei Hilfsgütern (Zelte) zu Engpässen kommt.

schick: Die japanische Gesellschaft wirkt gelassener als so mach ausländisches Medium. Woran mag das liegen?

Max Santner: Ich gebe Ihnen absolut recht. Über die Gründe dafür zu diskutieren, könnten wir eine weitere Stunde hier sitzen...

ModeratorIn: Wir bedanken uns bei Max Santner und den UserInnen für die interessante Stunde.

Max Santner: Auch von meiner Seite, es war äußerst interessant mit ihnen zu plaudern. Danke für die Aufmerksamkeit.