Menschen, die todesnahe Situationen überstanden haben, berichten häufig von so genannten Nahtod-Erfahrungen. Auch wer akut ins Koma fällt, kann derartige Phänomene erleben. Vorweg: Das Wort Koma ist schwer zu fassen, es kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie "tiefer Schlaf". In der Medizin spricht man von einer schweren Bewusstseinsstörung. "Die Definition Koma setzt die Definition von Bewusstsein voraus, was aber unmöglich ist", erklärt Eugen Trinka, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie an der Salzburger Christian-Doppler-Klinik. "Man hilft sich operational dadurch, dass man jemanden als bewusst bezeichnet, wenn er reagiert und sich überprüfbar merkt, was in seiner Umwelt vorgeht."
Akute Lebensbedrohung
Nahtod-Erlebnisse gehen immer mit einer ganz plötzlich eintretenden Lebensbedrohung einher, in der die Gehirndurchblutung nicht mehr gewährleistet ist. Die Hirnrinde ist dann nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Je nachdem, in welchem Teil des Gehirns diese Störung stattfindet, kommt es zu unterschiedlichen Phänomenen. Diese werden im Nachhinein häufig religiös oder spirituell interpretiert, aus medizinischer Sicht haben sie ihren Ursprung im Gehirn. Davon geht man aus, weil die elektrische Stimulierung der Hirnrinde ganz ähnliche Phänomene erzeugt. "Das impliziert nicht, dass es nicht etwas Transzendentales oder eine höhere Kraft gibt. Aber dass diese Phänomene aus dem Hirn kommen, scheint sehr klar zu sein", sagt Trinka.
Nahtod-Berichte ähneln sich stark
Wer rasch wieder aus einer komatösen Situation herauskommt, kann sich unmittelbar erinnern und hat nach wie vor die Fähigkeit, über die Nahtod-Erfahrung zu erzählen. Ein Beispiel dafür sind Menschen, die nach einem Herzstillstand reanimiert wurden. Die Berichte über solche Erlebnisse ähneln sich stark. Manche sehen ein helles Licht, das in einigen Fällen zu einem Tunnel führt. Als Erklärung dafür verweist die Medizin auf ähnliche Phänomene die bei nicht-komatösen Patienten eintreffen, beispielsweise wenn die Sehrinde von der Sauerstoffversorgung abgekoppelt ist. "Man sieht dann schwarz, aber hat eine helle Erscheinung in der Mitte. Das wird oft mit einem erlösendem Licht empfunden", sagt Trinka. Andere verspüren etwas Warmes, Durchströmendes in ihrem Körper. Auch das lässt sich erklären: Jener Teil des Gehirns, der für die Temperaturempfindung zuständig ist, ist in diesem Fall gestört.
Wieder andere Patienten berichten von "Out-of-Body-Experiences": Sie haben das Gefühl, sich außerhalb ihres Körpers zu befinden. Das kann zum Beispiel bei Störungen im Schläfen - und Scheitellappenbereich der Fall sein, dort ist das Körperschema repräsentiert. Es kommt auch vor, dass die Erinnerungen wie in einem Film ablaufen, nur um ein Vielfaches schneller. Der Grund dafür ist eine Sauerstoffunterversorgung im mesolimbischen System, in dem Erinnerungen gemeinsam mit Emotionen abgespeichert sind.
Wie wird die Zeit währed des Komas wahrgenommen?
Nahtod-Erfahrungen stehen also immer in Zusammenhang mit einer akuten Lebensbedrohung. Wie Menschen den Zustand eines länger andauernden Komas wahrnehmen, ist weitgehend unerforscht. Auch deshalb, weil nur wenige Patienten von einem längeren Koma wieder in einen Bewusstseinszustand zurückfinden, in dem sie über das Erlebte berichten könnten. In anderen Fällen, und zwar dann wenn die Ursache des Komas behandelbar ist, können sich die Patienten später zwar ausreichend artikulieren - aber dafür nicht mehr erinnern.
Kein "plötzliches Erwachen"
Das "Erwachen" aus dem Koma ist kein plötzliches Ereignis, sondern geschieht Schritt für Schritt innerhalb einer gewissen Zeitspanne. "Man kann sagen: Der gesunde Wachzustand und das Koma sind zwei Pole, dazwischen finden Reorganisationsprozesse statt", erklärt Trinka. Wer länger im Koma liegt, kann nach Tagen oder Wochen in den Zustand des Wachkomas kommen. Dann funktionieren die Hirnstammreflexe wieder, sie sind zum Beispiel für Atmung und Schlucken verantwortlich. Der Kreislauf arbeitet, die Augen sind geöffnet. Reaktionen auf äußere Reize bleiben aber aus.
Als nächste Stufe kann der Patient das so genannte "minimales Bewusstsein" erlangen: Die Gehirnrinde hat sich wieder soweit reorganisiert, dass der Mensch auf äußere Reize reagiert. In der Folge kann es zur Regeneration kommen, unter Umständen auch zu einem funktionierenden Wachzustand.
Besserung erfolgt Schritt für Schritt
Die Besserungen sind an kleinen Details erkennbar, zum Beispiel daran, dass sich der starre Blick ins Leere auf einmal jemandem zuwendet, der Gesichtsausdruck mit Emotion gefärbt ist. "Das passiert graduell, über Tage und Wochen hinweg. Die ersten Anzeichen dafür sind so verborgen, dass man sie nicht an einer Verhaltensänderung, sondern nur mit technischen Hilfsmitteln erkennen kann", erklärt Trinka. Dabei wird zum Beispiel festgestellt, wie das Gehirn auf ganz genau definierte Reize oder Fragestellungen reagiert.
Regeneration hängt von der Ursache ab
Wie nahe Koma-Patienten dem Tod tatsächlich sind und wie gut die Chancen auf Regeneration sind, hängt vor allem von der Ursache des Komas ab. Wenn der Grund eine strukturelle Schädigung der Hirnrinde ist, dauert die Regeneration sehr lange und erreicht nicht wieder das ursprüngliche Niveau. Dazu kommt es zum Beispiel durch eine Sauerstoffarmut im Blut oder einen längeren Herzstillstand. Regenerieren sich andere Teile wie der Herzkreislauf, kommt der Patient zumindest vom Koma ins Wachkoma, möglicherweise erreicht er sogar wieder "minimales Bewusstsein".
Anders, wenn die Ursache des Komas behandelbar ist: Dann ist eine vollständige Erholung realistisch. Beispiele dafür sind Zuckererkrankungen oder Vergiftungen die dazu führen, dass der Stoffwechsel entgleist. In der Folge kommt es zu Fehlfunktionen des Gehirns. Wenn der Stoffwechsel wieder funktioniert, löst sich auch die Störung im Gehirn auf, der Patient kehrt in den Wachzustand zurück. (Maria Kapeller, derStandard.at)