"Die Franzosen versuchen ihr Versagen in Tunesien und Ägypten in Libyen zu kompensieren", erklärt der Berliner Sicherheitsexperte Markus Kaim.

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Ein französischer Kampfpilot in seiner Mirage 2000.

Foto: EPA/ANTHONY JEULAND / ECPAD HANDOUT

Letzte Konsequenz könnte der Einsatz von Bodentruppen sein, sagt der Politologe Markus Kaim zu Christoph Prantner

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Standard: Die Nato hat tagelang über den Libyen-Einsatz gestritten. Hat die Allianz dadurch bereits Schaden genommen?

Kaim: So weit würde ich nicht gehen, aber die Vorgänge zeigen einen weitreichenden Dissens. Die Kommuniqués, die von der Nato zuletzt ausgegeben wurden, gehören mit zum kärglichsten, was ich je gelesen habe. Die Bruchlinie in der Allianz ist unklar: Es gibt Mitgliedstaaten, die interessieren sich gar nicht für den Konflikt. Andere - wie Deutschland - bringen gute politische und militärische Gründe dagegen vor. Wieder andere preschen vor. Und dann gibt es noch eine ganze Reihe von Staaten, die sich hinter den kritischen Stimmen verstecken wie viele der Mittelosteuropäer.

Standard: Was ist Ihrer Ansicht nach das schwerwiegendste Argument gegen diesen Einsatz?

Kaim: Das Entscheidende ist das Auseinanderfallen von politischen und militärischen Zielen. Viele westliche Regierungen haben sich politisch auf einen Regimewechsel in Libyen verständigt. Das hat aber nichts mit dem Mandat der Uno zu tun. Das Auseinanderklaffen von dem, was gesagt, was angestrebt und was umgesetzt wird, ist evident. Die französische Politik ist davongaloppiert mit der sehr frühen Anerkennung des Revolutionsrates in Bengasi und hat damit sich selbst und anderen die Handlungsspielräume eng gemacht. Paris hat die beiden Fragen - Regimewechsel und humanitäre Situation - zusammengeführt und die Existenzfrage für Muammar al-Gaddafi mit einer Sachfrage verknüpft. Das hat den Preis enorm erhöht: Gaddafi ist jetzt gezwungen, bis zum Letzten zu kämpfen. Für Diplomatie bleibt kaum noch Raum.

Standard: Hat die Intervention unter diesen Auspizien überhaupt eine Chance auf Erfolg?

Kaim: Gemäß dem UN-Mandat vielleicht. Da gibt es eine gewisse Chance auf Wirksamkeit. Es wird möglich sein, eine Flugverbotszone einzurichten und Zivilisten in Ostlibyen besser zu schützen. Das ist aber noch keine politische Ordnungsvorstellung. Denn damit steht die nächste Frage bereits im Raum: Und dann? Was ist der nächste Schritt? Wollen wir eine politische Zweiteilung des Landes? Oder müsste der Westen nicht dann gemäß seinen eigenen Absichten mit Bodentruppen in Richtung Tripolis marschieren? Aber das will niemand.

Standard: Die USA haben das ausgeschlossen. Bei Franzosen und Briten klingt das nicht so dezidiert. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass europäische Bodentruppen in Libyen einmarschieren?

Kaim: Wenn der bisherige Grad der militärischen Eskalation nicht das angestrebte Ziel erreicht und Gaddafi weiter auf die Aufständischen losgeht - aus seiner Sicht ist das angesichts der westlichen Übermacht das plausibelste, was er machen kann -, dann erhöhte er den Druck auf die internationale Allianz. Wenn die in einer Woche Bilanz zieht und ihre Ziele nicht erreicht sind, dann könnten Bodentruppen ins Spiel kommen.

Standard: Die schließt das UN-Mandat doch aus.

Kaim: Die Franzosen werden in ihrem unfassbaren Elan, den sie momentan an den Tag legen, um ihr Versagen in Tunesien und Ägypten zu kompensieren, gleich die nächste Resolution nachlegen wollen. Genau davor warnen wir Experten: Eine militärische Mission kann sich in eine Richtung entwickeln, die am Anfang niemand haben wollte. Die Alternative ist: Man bläst die Operation nach negativer Bilanz wieder ab. Das wäre mit einem enormen politischen Gesichtsverlust verbunden, weil man dann gegebenenfalls wieder mit jemanden verhandeln müsste, den man eigentlich aus dem Amt haben und vor dem Internationalen Strafgerichtshof sehen wollte.

Standard: Die USA verhalten sich sehr zurückhaltend, warum?

Kaim: Derzeit wird verständlicher humanitärer Druck in der Öffentlichkeit in politisch kurzsichtige Aktionen umgewandelt, ohne über dauerhafte militärische Engagements zu sprechen. Die Europäer wiederholen den Fehler, den man den Amerikanern in den letzten Jahren zu Recht vorgeworfen hat. Aber die sind inzwischen aus Schaden klug geworden. (Das Gespräch führte Christoph Prantner. STANDARD-Printausgabe, 23.03.2011)