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Die prophylaktische Einnahme von Kaliumjodidtabletten ist sinnlos.

Foto: APA/Timm Schamberger

Die Angst vor der radioaktiven Wolke aus Japan hat Geigerzähler und Gasmasken weltweit zu Verkaufsschlagern gemacht. Zahlreiche Österreicher haben mit der Bevorratung und der prophylaktischen Einnahme von Kaliumjodidtabletten begonnen.

Radiojodidfreie Wolke

„Kaliumjodidprophylaxe bei uns wegen eines GAU in Japan ist so sinnlos, wie eine Chemotherapie gegen eine Erkältung", zieht Alexander Becherer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nuklearmedizin, vorweg einen drastischen Vergleich. Sinnlos und auch riskant, denn jede medizinisch nicht indizierte Anwendung von Jod- Tabletten kann beträchtliche Nebenwirkungen mit sich bringen. Während Erwachsene mit vorbestehenden Schilddrüsenknoten unter der Einnahme von Kaliumjodid mitunter eine Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion, Anm. Red) entwickeln können, löst die Einnahme bei Kleinkindern eine Unterfunktion der Schilddrüse aus, die bei falscher Dosierung sogar mit schweren Entwicklungsstörungen einhergehen kann. „Es gibt Untersuchungen die beweisen, dass in jungen Lebensphasen bereits ein paar Tage Schilddrüsenunterfunktion irrreversible intellektuelle Verluste mit sich bringt", ergänzt Becherer. Allergieähnliche Hautsymptome sind ebenfalls möglich.

Tatsächlich macht die Jodprophylaxe nur dann Sinn, wenn eine realistische Bedrohung durch radioaktiven Niederschlag besteht. Japan ist 9000 Kilometer entfernt. „Ein radioaktiver Fallout aus dieser Region und damit verbunden eine Gesundheitsgefährdung für die österreichische Bevölkerung ist also denkunmöglich", betont der Nuklearmediziner. Ausgewaschen würde die Wolke hier landen - vor allem aber gänzlich frei von Radiojodid, das mit einer Halbwertszeit von acht Tagen, den Weg bis nach Österreich keinesfalls findet.

Unruhe steigt

Trotzdem: Die Unruhe in der österreichischen Bevölkerung steigt. Und zum Teil ist diese auch nachvollziehbar, fordern doch derzeit manche Schulen Eltern dazu auf, schriftlich zu entscheiden ob ihre Kinder im Fall einer erhöhten Strahlenexposition vor Ort bleiben müssen, oder aber selbständig den Heimweg antreten dürfen. „Es ist unverantwortlich solche Unterschriften jetzt plötzlich anlassbezogen einzufordern", so Becherer und betrachtet den Zeitpunkt für die Einwilligung als denkbar ungünstig.

34 Atomkraftwerke gibt es allein in der Umgebung von Wien. Weniger als 200 km entfernt liegen Bohunice, Dokovany, Mochovce und Temelin. Die Auseinandersetzung mit einem möglichen atomaren Unfall macht also durchaus Sinn und österreichweit wird ohnehin jeder Schüler beim Schuleintritt mit der Eventualität einer atomaren Katastrophe konfrontiert. Im Moment schüren Österreichs Schulen damit jedoch eher Ängste.

Zivilschutz im Vordergrund

„Hierzulande braucht sich niemand vor Japan zu fürchten", betont auch Walter Schwarzl, Geschäftsführer des Österreichischen Zivilschutzverbandes und erhofft sich aus der momentanen Situation eine steigende Sensibilisierung der Menschen. In Zeiten des Kalten Krieges noch war für zahlreiche Häuslbauer hierzulande die Errichtung eigener Schutzräume eine Selbstverständlichkeit. „Solche Schutzräume sind die beste Bündelversicherung, nicht nur gegen radioaktive Strahlung", betont Schwarzl. Sicher von Vorteil, aber kein Muss - Die Einrichtung einer „Sicherheitswohnung" ist, wie auch das Verschanzen in den eigenen vier Wänden, laut Schwarzl Abschirmung genug.
Zur „Sicherheitswohnung" wird ein Eigenheim dann, wenn Schutzfilter an Außenmauern oder auf Fenstern installiert werden. Im Ernstfall erzeugen diese Filter einen leichten Überdruck in den Innenräumen. Dadurch kann - selbst wenn die Fenster nicht hundertprozentig dicht sind - keine kontaminierte Luft von außen nach innen dringen. „Alternativ zu den eingebauten Filtersystemen genügt es auch die Fenster mit breiten Klebestreifen abzudichten", ergänzt Schwarzl. 

Strahlenschutzexperten gehen davon aus, dass bei einem atomaren Unfall in unmittelbarer Umgebung die verseuchte Wolke spätestens innerhalb einer Woche über Österreich hinweg zieht. Für eine Woche, oder besser noch für zwei sollten Herr und Frau Österreicher also vorsorgen.
Neben Mineralwasser und haltbaren Lebensmitteln empfiehlt Schwarzl insbesondere die Bevorratung von Batterien, einem batteriebetriebenen Radio und einer Hausapotheke . Vom Kauf eines Geigerzählers und einer Gasmaske rät der Zivilschutzexperte ab. „Das Tragen einer Gasmaske muss man gewöhnt sein und Geigerzähler muss man auswerten können", so Schwarzl.

Zivilschutz-Probealarm im Oktober

Neben der individuellen Vorbereitung auf den Fall, der hoffentlich nie eintritt, darf die österreichische Bevölkerung darauf vertrauen, dass sie auch rechtzeitig informiert wird. 336 Strahlenmessstellen erfassen frühzeitig, wenn eine radioaktive Wolke auf Österreich zusteuert. Ein Zivilschutz-Probealarm macht die Menschen hierzulande jedes Jahr am ersten Samstag im Oktober mit den Signalen, die im Katastrophenfall ertönen, vertraut. (derStandard.at, 24.03.2011)