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Julia Timoschenko, Ex-Regierungschefin

Foto: Reuters/Lenoir

Gegen die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko läuft ein Verfahren wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch. Im Gespräch mit Verena Diethelm nimmt sie zu den Vorwürfen Stellung.

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DER STANDARD: Werden Sie bei den nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2012 antreten?

Julia Timoschenko: Unbedingt. Wir wissen, wie man das Land reformieren muss. Wie man das Land zurück zu Recht, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit führt und wie man die Ukraine wieder öffnet und für Investitionen attraktiv macht. Und wie man in der Ukraine die Rahmenbedingungen schafft, damit europäische Werte auch ukrainische Werte werden. Für diese Idee - die Ukraine als unabhängiges und europäisches Land - werden wir kämpfen und die Teilnahme an der Wahl ist ein Instrument dafür.

DER STANDARD: Ich frage, weil gegen Sie gerade Ermittlungen laufen. Es ist nicht so klar, ob Sie auch tatsächlich an der Wahl teilnehmen werden können.

Timoschenko: Diese ganzen Strafsachen sind politische Druckmittel. Das ist nicht angenehm, das schmerzt. Viele Leute befinden sich heute bereits hinter Gittern. Aber dennoch sehe ich diese Ermittlungen eher als Programm meiner vollständigen Rehabilitation an. Das ganze Machtsystem, inklusive internationale Auditoren, hat mich ein ganzes Jahr lang unter die Lupe genommen und jedes einzelne unterschriebene Papier und jeden Budgetposten überprüft. Als Resultat ist nur herausgekommen, dass die Pensionen auf Kosten von Kyoto-Geldern ausgezahlt wurden. Das zeigt, dass nicht alle Beamte, nicht alle Premierminister, nicht alle Präsidenten dieses Landes korrumpiert sind. Ich möchte, dass alle übrigen Präsidenten und Premierminister die selbe Überprüfung durchlaufen wie ich sie durchlaufen habe, um ihre Ehrlichkeit zu beweisen.

DER STANDARD: Premierminister Asarow sagt, dass internationale Rechnungsprüfer Gesetzesverstöße der alten Regierung festgestellt haben. Haben Sie das Gesetz verletzt?

Timoschenko: Laut der amerikanischen Botschaft ist dieses Unternehmen gar kein Rechnungsprüfer und war es auch nie. Außerdem sind das genau diese Unternehmen, die während der Präsidentschaft von Leonid Kutschma von den ukrainischen Oligarchen beauftragt wurden, ein Gutachten über die Ermordung des Journalisten Georgij Gongadse zu erstellen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Gongadse noch lebt. Die Qualität dieser Auditoren ist deshalb schon lange offensichtlich.
Die internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, die von Japan und der Regierung beauftragt wurde, hat klar das Vorhandensein des Geldes festgestellt, das unsere Regierung nach dem Kyoto-Protokoll erhalten hat. Und wenn das Geld da ist, dann kann man es nicht für die Pensionen ausgegeben haben.

DER STANDARD: Manchen Experten vergleichen die Präsidentschaft von Viktor Janukowitsch mit den frühen Jahren des früheren russischen Präsidenten. Ist Janukowitsch ein zweiter Putin?

Timoschenko: Ich finde, dass Janukowitsch eher dem späteren Breschnew ähnlich ist. Dafür spricht leider das gleiche intellektuelle Niveau, diese Absurdität der Macht und natürlich die Verfestigung der sowjetischen Idee, dass die gesamte Macht in einer Hand vereint sein muss. Heutzutage gibt es in der Ukraine keine Gewaltenteilung - Legislative, Exekutive und Judikative. Das ist der traurige Schluss, den man ein Jahr der Präsidentschaft Janukowitsch ziehen muss. Heute sind alle diese Organe, die in anderen demokratischen Ländern unabhängig sind, in den Hände eines Menschen. Und dieser Mensch wird von den ukrainischen Oligarchen gelenkt.

DER STANDARD: Wie sollte die EU reagieren?

Timoschenko: Das wichtigste ist, zu reagieren solange es noch möglich ist, zur Demokratie zurückzukehren. Es ist sehr wichtig jetzt zu reagieren, solange der Autoritarismus noch nicht zur Diktatur geworden ist.

Wir erwarten deshalb von der EU die richtige Einschätzung dessen, was derzeit in der Ukraine vor sich geht. Wir haben die Resolution des Europäischen Parlaments über die Ukraine sehr begrüßt. Aber jetzt ist es wichtig zu verstehen, ob Janukowitsch und seine Umgebung den Inhalt dieser Resolution begriffen hat. Wenn nicht, dann macht es Sinn, jetzt nachzufragen. Wenn Sie die Resolution ignorieren, dann muss das Europäischen Parlaments vielleicht unterstützende Aktivitäten setzen. Wir sind der Meinung, dass die Ukraine mit ihrem freiwilligen Wunsch, der EU, der europäischen Familie beizutreten, einige Pflichten auf sich genommen hat. Diese beinhalten die Stärkung der Freiheiten, der Rechte der Menschen, der Demokratie, der Oberhohheit des Gesetzes, der Gerechtigkeit in der sozialen Sphäre und der Öffnung der Wirtschaft. Und wenn das alles nicht passiert und wenn sogar das Gegenteil passiert, dann sollte sich die EU, die derzeit mit der Ukraine über eine Assoziierungsabkommen und die Schaffung einer Freihandelszone verhandelt, die direkte Frage stellen, ob die Rhetorik und die Stellungnahmen des Präsidenten nicht seinen Handlungen und seinen angeblichen Reformen widersprechen.
Die Rolle der EU, die Ukraine in der Entwicklung zu einer offensichtlichen Diktatur aufzuhalten, ist sehr groß. Ich würde sogar sagen, dass sie entscheidend ist.

DER STANDARD: Die Regierung will das Assozierungsabkommen bis Ende des Jahre abschließen. Was halten Sie davon?

Timoschenko: Ich unterstütze die Unterzeichnung dieses Vertrages. Aber das wichtigste ist, dass wir bei der Unterzeichnung des Abkommens nicht die Augen davor schließen, dass in der Ukraine die europäischen Werte offensichtlich auf dem Rückzug sind. Im Assoziierungsabkommen sollte nicht nur eine Erklärung abgegebenen, sondern politische Instrumente festgeschrieben werden, wie man die Ukraine wirklich zu einem Partner machen kann. Es sollte nicht einfach irgendein Dokument unterzeichnet werden, dass die Ukraine nicht davon abhalten kann, in die Diktatur abzugleiten.

DER STANDARD: Sie haben vor kurzem gesagt, dass Sie, wenn Sie wieder an die Macht zurückkommen, den Verkauf von UkrTelekom (Anm. an einen österreichischen Investor) rückgängig machen wollen. Warum?

Timoschenko: Die geheime Privatisierung von UkrTelekom ist eines dieser Beispiele, das gut die Rückkehr der Korruption, der Geheimwirtschaft und einem System, in dem das Land von Clans geführt wird. UkrTelekom wurde in einem geschlossenen System privatisiert. Es war für internationale Investoren nicht möglich an der Privatisierung teilzunehmen. Wie ukrainische Medien schreiben wurde UkrTelekom an eine Offshoregesellschaft auf Zypern verkauft, die der Familie Janukowitsch überschrieben wurde. Leider kann man diesen Deal heute nicht überprüfen, weil alle Exekutivorgane und Gerichte zu Abteilungen der Präsidialadministration geworden sind. Sie sind keine von der Macht unabhängigen Organe. Deswegen habe ich gesagt, dass wir die Privatisierung von UkrTelekom rückgängig machen werden und das Unternehmen dem Staat wieder zurückgegeben wird, damit eine ehrliche und offene Privatisierung unter Konkurrenzbedingungen durchgeführt werden kann.
Eine zypriotische Gesellschaft, die nur geschaffen wurden, um dieses Eigentum zu stehlen, ruft in der Bevölkerung Empörung hervor. Die Leute wollen das nicht tolerieren.

DER STANDARD: Sie haben bereits die Macht der Oligarchen angesprochen. Warum ist es Ihnen als Premierminsterin denn nicht gelungen, diese Macht zu beschneiden?

Timoschenko: Während der Orangen Revolution forderten die Menschen Gerechtigkeit und Ehrlichkeit der Führung und daher die Trennung der politischen Macht von den Finanzströmen. Ich war auf der Seite des Volkes in dieser Revolution und ich finde es sehr schade, dass wir und das Volk, kurz nachdem der Präsident sein Kabinett eingesetzt hat, verraten wurden. Denn statt das Rechtssystem zu stärken und die Oligarchen aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben des Landes zu vertreiben, wurden sie wieder auf den Hof gelassen und ihnen wurden wieder Präferenzen zuteil. Der neue Präsident Viktor Juschtschenko wurde so zu einer Person der alten Oligarchie.
Ich habe trotzdem im Jahr 2005 versucht, die Versprechen, die wir am Maidan gegeben haben, einzulösen. Aber Juschtschenko hat mich einfach als Premierministerin entlassen, weil für ihn meine Forderungen mit den Forderungen der Oligarchen nach der Regierungsbildung mit der alten Macht nicht vereinbar waren. Dann wurde ein Memorandum zwischen Juschtschenko und Janukowitsch unterzeichnet und auf Basis dieses Memorandums haben die Oligarchen wieder ihre Regierung gebildet.
Ich möchten keinem anderen wünschen, Premierminister in Krisenzeiten zu sein, in einer Umgebung der Oligarchen, die vom Präsidenten, den Gerichten, der Staatsanwaltschaft und dem Parlament unterstützt werden.

DER STANDARD: Die Menschen sind immer weniger mit der Regierung zufrieden, aber dennoch profitiert die Opposition kaum von der Unzufriedenheit. Warum fällt sowohl die Zustimmung zur Regierung, als auch zur Opposition?

Timoschenko: Wenn man sich die jüngsten Umfragen ansieht, dann sieht man die Ratings der Regierung fallen, bei uns zeichnet sich eine Trendumkehr ab. Das ist fast in allen Meinungsumfragen zu sehen, die im letzten Monat durchgeführt wurden. Das Konzept, das die Macht durch ihre Medien zu festigen versucht, ist folgendes: Die Macht ist nicht verantwortlich dafür, was im Land geschieht, sondern die vorherige Regierung. Das ist die Position, die sie durch ihre Politologen, ihre Medien und ihre Politiker verbreiten.
In diesem System der Repression und der Informationsblockade ist es schon großartig, dass es überhaupt eine Opposition gibt. Wie sie sehen gibt es in den übrigen postsowjetischen Ländern überhaupt keine Opposition. Wir bemühen uns um eine Modernisierung der Partei und der Kommunikation mit der Gesellschaft ohne Mittelmänner, weil es leider zu einer Monopolisierung der Information gekommen ist. Heute ist nur noch das Internet frei. Aber in der Ukraine haben leider sehr wenige Leute Zugang zum Internet.

DER STANDARD: Sie haben schon fast meine nächste Frage beantwortet. Was bleibt denn eigentlich von der Orange Revolution über?

Timoschenko: Die Orange Revolution hat das Land verändert. Ja, wir haben nicht erreicht, was das Volk und auch wir erwartet hatten. Der Grund dafür liegt nicht beim Volk und auch nicht bei der Regierung. Sondern darin, dass das Staatsoberhaupt, dem das Volk geholfen hat, Präsident zu werden und von dem eine neue Moral in der Politik erwartet wurde, uns alle verraten hat. Er hat den Geldclans die Türe zur Macht, zur Wirtschaft, ins Parlament und der Regierung geöffnet.
Deswegen dürfen wir nicht stehen bleiben. Wir müssen weiter gehen. Wir müssen die Resultate bringen, die die Menschen von uns erwartet haben.

DER STANDARD: Man jedoch den Eindruck, dass das Volk politikmüde ist. Halten Sie denn eine Wiederholung der Orangen Revolution wirklich für möglich?

Timoschenko: Die ukrainische Gesellschaft und die Bürger hat eine andere Einstellung zur Freiheit, als unsere Nachbarn in den anderen GUS-Ländern. Die Ukrainer haben bereits ein bisschen ausprobiert, wie es ist, in einem freien Land zu leben, ohne Zensur, ohne Gewalt. Deswegen wird es niemanden gelingen, diese Freiheiten zu vernichten und das Land in die Zeit von Breschnew zurückzuführen. Ich möchte sehr daran glauben. Ich setze große Hoffnungen auf die Zivilgesellschaft, auf gesellschaftlichen Bewegungen, die kleinen und mittleren Unternehmer und auf die Gewerkschaften. Diese Tage ist eine Autokolonne von Lwiw und Lugansk nach Kiew unterwegs, um gegen Unfreiheit, Korruption und Gewalt zu protestieren. (Langfassung eines in DER STANDARD, Printausgabe, 25.3.2011 erschienenen Interviews)