Das Schlitzohr im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit wirft ein Problem auf, das nicht existierte, als lobbyistisches Gemauschel noch als wirtschaftsliberales Kunstwerk verkauft werden konnte. Wäre Ernst Strasser nicht in O-Ton und O-Bild einer überrascht tuenden Parteiöffentlichkeit beim Versprühen seines Smells vorgeführt worden, mannhaft wären sie alle gegen den englischen Schmuddeljournalismus aufgetreten. Jetzt hilft ihm keiner von denen, die doch einmal Großes von ihm gehalten haben müssen - hätten sie ihn sonst bis zur Stufe seiner Inkompetenz zum Polizeiminister und gegen 100.000 Vorzugsstimmen zum Delegationsleiter in Brüssel befördert?

Wo die Unschuldsbeteuerung am schlechten Parteigewissen abprallt, hat die Unschuldsvermutung ihr Recht verloren. Aber nicht ihren Beschönigungscharakter, wenn dem Europäischen Parlament als Ersatz für einen talentlosen Lobbyisten ein Lobbyist der Reserve angeboten werden sollte, der seine Befähigung für das EU-Mandat mit dem Angebot an seine Kunden nachweist, für sie "Strategien, wie EU-Maßnahmen optimal genutzt, modifiziert oder auch verhindert werden können" zu entwickeln. Ernst Strasser einen Hubert Pirker nachzuschicken könnte in Europa außerhalb Österreichs als plumper Versuch verstanden werden, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

Klar, dass Pirker selber nicht das geringste Problem darin sieht, das Lobbyisten-Bäumchen wieder einmal gegen das parlamentarische Unterholz zu tauschen. Strasser war kaum entlarvt, da war von Pirker schon zu erfahren: "Ich habe sofort meine Firma EU-TriConsult stillgelegt." Eine durchaus misstrauensbildende Maßnahme, soll damit doch der Eindruck erzeugt werden, Lobbyismus sei ein (ehrenwerter) Beruf wie Schuster oder Verkäuferin, aus dem man von einem Tag auf den anderen unbefleckt und vormalige Kundenkontakte nie gehabt habend in eine höhere Berufung zum Wohl der Völker Europas wechselt.

Dazu passt der plötzliche Eifer, mit dem nun ein Lobbyistengesetz versprochen wird. Endlich eine Transparenzdatenbank! In sie muss sich jeder eintragen, will er beim Lobbyieren nicht mit Strafe rechnen. Super! Von heute auf morgen werden wir das ganze Ausmaß der Geschäfte Mensdorff-Pouillys erfahren. Die Atomlobby - nur noch transparent! Waffenlobbyisten legen alles offen, vom Eurofighter bis zur Patrone. Desgleichen die Pharmakonzerne. Und keine Privatisierung des Trinkwassers ohne Eintragung ins Lobbyistenregister! Das Ansehen des Berufs wird zwar sinken, aber allein, wenn Meischberger nicht mehr nachfragen muss, was seine Leistung war, ist das Gesetz sinnvoll.

Öffentlicher Lobbyismus ist ein Widerspruch in sich, anderes zu beteuern soll nur den Sinn des Wortes vernebeln. Diesen Widerspruch zu meiden werden Lobbyisten auch künftig versuchen, ihn auszuleben übernehmen immer öfter Politiker, die es kaum erwarten können, nachdem sie die Bürde öffentlicher Interessenvertretung losgeworden sind, die dabei erworbenen Kontakte möglichst rasch in den Dienst ganz anderer, trüber, Interessen zu stellen. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 25.3.2011)