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Vermutlich sind etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung mit H. pylori infiziert.

Sie sind Meister des Versteckspiels, verkriechen sich im Schleim an der Magenwand, die das Gewebe vor der Säure schützt, und richten dort mitunter schlimme Schäden an. Ihr Name: Helicobacter pylori, einer der global am weitesten verbreiteten Krankheitserreger.

Vermutlich sind etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung mit H. pylori infiziert - aber nicht überall gleichmäßig. In Entwicklungsländern tragen zum Teil mehr als 80 Prozent der Einwohner die Keime im Magen, in Mitteleuropa sind dagegen nur 20 bis 40 Prozent betroffen. "Je jünger in Europa die Population, desto geringer die Durchseuchung", sagt Wolfgang Vogel von der Medizinischen Universität Innsbruck. In Österreich ist wahrscheinlich mehr als die Hälfte der über 60-Jährigen infiziert, erklärt der Gastroenterologe. Bei einer Untersuchung von Grazer Studenten dagegen ließen sich die Mikroorganismen bei nur zwölf Prozent der Testpersonen nachweisen.

Für viele Menschen ist eine Helicobacter-Infektion anscheinend harmlos. Sie können den Bakterien ein Leben lang ohne Beschwerden Unterschlupf bieten. Bei anderen dagegen löst H. pylori Gastritis oder sogar Magenkrebs aus. Möglicherweise haben die Einzeller deshalb im Vergleich zu den sonstigen hierzulande vorkommenden Mikroben die meisten Todesopfer auf dem Gewissen. Grund genug, sie genau im Auge zu behalten.

Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Weltweit versuchen Wissenschafter seit fast drei Jahrzehnten, die Geheimnisse des Helicobacter zu lüften, mit erstaunlich geringem Erfolg. Zwar konnten das Erbgut des Keimes sowie diverse Details seines Stoffwechsels entschlüsselt werden, aber die Übertragungswege und die eventuell in der Umwelt existierenden Reservoirs der Mikroorganismen sind noch nicht wirklich bekannt.

"Das Hauptreservoir ist mit Sicherheit der menschliche Magen. Da ist er zu Hause," meint Wolfgang Vogel. Andere Experten suchen auch außerhalb. Manche vermuten, dass sich Helicobacter über das Wasser verbreiten kann oder via Rohmilch und die daraus hergestellten Produkte. Italienische Forscher wiesen schon vor vier Jahren H.-pylori-DNA in zahlreichen rohen Schafsmilch-, Ziegenmilch- und Kuhmilch-Proben nach.

Hefe als Transporter

Von Letzteren war sogar die Hälfte kontaminiert. Bemerkenswert sind auch die Studienergebnisse eines iranischen Biologenteams, welches Bakterien in Hefezellen der Art Candida albicans fand - und H.-pylori-Gene. Das mögliche Fazit: Helicobacter kann sich in Hefe einnisten und dort überdauern. C. albicans ist in der Natur weit verbreitet und besiedelt oft den menschlichen Körper, unter anderem den Mund-Rachen-Raum. Die Hefezellen kämen somit als zusätzliches H. pylori-Reservoir infrage.

Es gibt aber noch andere, gängigere Theorien. Die wohl am häufigsten genannte Ansteckungsmöglichkeit ist die fäkal-orale Übertragung. Demnach gelangen die Keime mit dem Stuhl von infizierten Personen in die Umwelt und anschließend ins Trinkwasser oder in Lebensmittel. Das würde erklären, warum die Magenbakterien in Entwicklungsländern mit schlechter Hygiene besonders viele Menschen befallen.

Wie H. pylori Krebs und die Bildung von Magengeschwüren auslöst, konnte auch noch nicht ausreichend geklärt werden. Der Säureschutzmechanismus der Bakterien dürfte eine wichtige Rolle spielen. Die Kleinstkreaturen produzieren das Enzym Urease, mit dessen Hilfe sie an ihrer Zelloberfläche Harnstoff in CO2 und Ammoniak aufspalten. Letzteres wirkt als Säurepuffer-Substanz. Die Bakterienzellen schaffen sich so einen mehr oder weniger neutralen Bereich, der sie umhüllt. Der Magenschleimschicht tun solche chemischen Eingriffe jedoch nicht gut. Sie wird beschädigt und kann sich lokal auflösen. Wenn dies passiert, sind die Zellen der Magenwand nicht länger geschützt. Eine Entzündung beginnt.

Die Keime dürfen indes nicht als die alleinigen Verursacher von Magenkrebs gesehen werden, betont Wolfgang Vogel. Es geht um komplexe Wechselwirkungen bei vielschichtigen Krankheitsbildern. "Helicobacter ist mit Sicherheit ein Multiplikator in diesen pathologischen Prozessen." Aber auch die Ernährung der Menschen ist zu berücksichtigen. "Wir wissen, dass gepökeltes Fleisch eine Rolle spielen kann", sagt Vogel. Die darin enthaltenen Nitrosamine erhöhen das Magenkrebs-Risiko.

Die Häufigkeit von Magenkarzinomen liegt im Westen Österreichs über dem bundesweiten und dem EU-Durchschnitt. Sogar innerhalb Tirols lässt sich ein West-Ost-Gefälle beobachten, berichtet Wolfgang Vogel. Über die H.-pylori-Infektionsraten liegen hier allerdings keine Zahlen vor.

Man könnte die Erreger ausrotten, theoretisch. Das Aufspüren der Keime mittels spezieller Tests und die Eradikation, das Auslöschen einer Helicobacter-Population mittels Antibiotika, sind heute Routine. Inwiefern die konsequente Bekämpfung von H. pylori bei allen Betroffenen sinnvoll ist, darüber streiten die Wissenschafter. Einige Mediziner halten solche Maßnahmen für übertrieben. Wolfgang Vogel sieht das anders. Für Bevölkerungsgruppen mit einem bekannt erhöhten Magenkrebs-Risiko, wie dies in Tirol der Fall ist, wären Reihenuntersuchungen mit anschließender Behandlung sämtlicher infizierter Personen empfehlenswert, meint er. "Ich gehöre zu den Medizinern die sagen: Nur ein toter Helicobacter ist ein guter Helicobacter." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, Printausgabe, 28.03.2011)