Ein neues Ungeheuer ist im politischen Sumpf aufgetaucht. Ziel der hektischen Jagd ist der Lobbyist, der in der Person Ernst Strassers sein hässliches Haupt erhoben hat. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) will Amtsträgern Lobbying verbieten, SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter gleich sämtliche Nebenjobs - aber natürlich nur den Schmuddelkindern im Europaparlament und nicht sich und seinesgleichen im österreichischen Nationalrat.

In die Hyperaktivität mischt sich eine ordentliche Portion Selbstverleugnung. Denn vom Gewerkschafter über den Wirtschaftskämmerer bis zum Bauernbündler tummeln sich im heimischen Parlament von jeher Mandatare, die in klassischer Lobbyistenmanier versuchen, Anliegen ihrer Organisation in Gesetze zu gießen. Derartige Verbandsvertreter unterscheiden sich von Strasser insofern, als sie auf zweifelsfrei legale Weise bezahlt werden, in der Regel Überzeugungstäter sind und aus ihren Motiven kein Geheimnis machen. Aber dem Idealbild des freien Mandatars, der laut Verfassung "an keinen Auftrag gebunden" ist, bereiten auch sie keine Ehre.

Also raus mit Abgeordneten, die wegen anderer Verpflichtungen nicht - wie oft zu lesen ist - die "Allgemeinheit" vertreten? Da könnte es im Hohen Haus rasch einsam werden. Es ist unmöglich, eine scharfe Grenze zwischen Wählerwille und Partikularinteressen zu ziehen. Selbst so unbeliebte Lobbys wie jene für Atomkraft oder Gentechnik können für sich ins Treffen führen, breitere Anliegen als den eigenen Profit - Versorgung mit Strom und Nahrung - zu verfolgen. Auch ein scheinbar ungebundener Mandatar ist nicht dagegen immun, Interessen seines privaten Berufsstandes Vorrang zu geben - oder seinen eigenen.

Schon gar keine Lösung ist ein generelles Berufsverbot. Bereits jetzt ist der Nationalrat weit davon entfernt, die immer komplexere Gesellschaft abzubilden. Müssen Mandatare künftig ihren zivilen Job an den Nagel hängen, wird die angebliche Volksvertretung bald nur noch aus Beamten und Angestellten von Parteien und Verbänden bestehen, die im Falle des Scheiterns nicht in der Luft hängen. Wer gibt schon leichtfertig seinen alten Brotberuf auf, wenn er nach der nächsten Wahl wieder aus dem Parlament fliegen kann?

Was es braucht, ist mehr Transparenz. Die eilig fabrizierten Pläne der Justizministerin schrammen dabei am Kern des Problems vorbei. Ein künftiges Register soll jene Profilobbyisten aufnehmen, die im Auftrag Dritter Abgeordnete "anbohren" . Entscheidend ist aber, welche Volksvertreter auf wessen Payroll stehen. Deshalb: verpflichtende Offenlegung der Politikereinkünfte, und zwar auf einer für jedermann einsehbaren Homepage.

Der nun eingetretene Imageschaden sollte aber auch Anstoß für eine weitreichendere Reform des Parlamentarismus sein. Gefragt ist ein personalisiertes Wahlrecht, das die Wähler stärker an ihre Mandatare bindet. Wer seinen Vertreter direkt ins Parlament hieven kann, wird hinterher genauer beobachten, welche Interessen dieser tatsächlich vertritt. Außenseiter, die sich nicht durch die üblichen Hierarchien der Parteien und Verbände hochdienen, bekämen ebenso eine Chance wie Freigeister, deren Karriere weniger als bisher vom Gehorsam zum politischen Herrn abhängen würde. Damit würde das Gängelband gelockert, das im Fall der roten und schwarzen Abgeordneten am straffsten gespannt ist: jenes zur eigenen Regierung.(Gerald John, DER STANDARD; Printausgabe, 26./27.3.2011)