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Ernst Strasser, Erwin Pröll

Foto: APA/GERHARD SCHNABL

Seinen politischen Lebensabend hat sich Erwin Pröll wohl auch anders vorgestellt. An guten Tagen vielleicht sogar in der Hofburg, aber wenn es bei St. Pölten bleiben sollte, dann hoch geehrt und umringt von gehorsamen Neffen, die um seine Knie spielen. Jedenfalls nicht derart von Tragik umwittert, wie das am Donnerstag die "Salzburger Nachrichten" einer erschütterten Öffentlichkeit enthüllten. "Ich bin maßlos enttäuscht", gab er dort zu Protokoll, nachdem ihn ein Redakteur des Blattes auf äußerst undelikate Weise als Erfinder des gestrauchelten EU-Abgeordneten Ernst Strasser dingfest gemacht hatte.

Schlimmer noch: Ernst Strasser gilt als Ihr politischer Ziehsohn, bohrte Andreas Koller tiefer, um das ganze Ausmaß einer erzieherischen Katastrophe bloßzulegen. Der Landeshauptmann konnte nicht leugnen, versuchte sich aber auf frühere Unerfahrenheit auszureden. Ernst Strasser war tatsächlich eine meiner ersten personalpolitischen Entscheidungen. Ich habe ihn bald nach meiner Wahl zum ÖVP-Landeschef als Landesparteisekretär nach Niederösterreich geholt.

Eine culpa in eligendo, deren Tragweite man damals aus zwei Gründen nicht erkennen konnte. Erstens: Die allermeisten meiner Personalentscheidungen haben sich als goldrichtig erwiesen, und zweitens: Zu Ernst Strasser ist zu sagen, dass er damals nicht der war, der er heute ist. Er ist im Lauf der letzten 20 Jahre ein anderer geworden. Ein Wandel der Persönlichkeit, der viel über das Milieu sagt, indem sich Erwin Prölls Personalentscheidungen als goldrichtig zu erweisen pflegen. Denn wenn Strasser damals nicht der war, der er heute ist, war auch die damalige Personalentscheidung, wenn vielleicht nicht eben goldrichtig, so wenigstens nicht so falsch, wie sie heute der ganzen Volkspartei erscheint.

Was ist in diesen letzten 20 Jahren mit Ernst Strasser geschehen, dass aus ihm, der damals nicht der war, der er heute ist, ein anderer werden konnte? Wie ist es um den pädagogischen Eros bestellt, der die niederösterreichische ÖVP leitet und ihren Landeschef von einer goldrichtigen Personalentscheidung zur nächsten peitscht? An einem großen Vorbild kann es Strasser nicht gefehlt haben. Dazu dasselbe: Ich bin seit 30 Jahren in der Politik - also um zehn Jahre länger, als der politische Ziehsohn benötigte, um ein anderer zu werden -, und intensiv bei der Bevölkerung unterwegs. Die Menschen haben ein Recht auf Politiker, die glasklar arbeiten und nicht im Hintergrund andere Wege gehen und andere Interessen verfolgen.

Nun ist Niederösterreich für die gläserne Klarheit der dort geleisteten politischen Arbeit berühmt. Da gibt es nicht das kleinste Wegerl, das im Hintergrund begangen, kein anderes Interesse, das verfolgt wird, weshalb die Beantwortung der Frage immer drängender wird, wie Strasser aus dem, der damals nicht der war, der er heute ist, werden konnte, der er heute ist. War im Landesparteisekretär ein lobbyistischer Kern genetisch und für den christlich-sozialen Ziehvater unerkennbar angelegt? Welcher Dämon gewann Macht über ihn, ließ ihn straucheln, und wann?

War es etwa gar unvermittelter Liebesentzug, in einer Phase, in der ein Ziehsohn mehr denn je der glasklaren Führung einer lauteren Persönlichkeit bedarf? Mein Kontakt zu ihm, so Pröll, ist nach seinem abrupten Ausscheiden aus der Politik abgerissen. Wir waren Strasser gegenüber distanziert, weil er 2004 seinen Rückzug aus der Politik als endgültig bezeichnet hatte. Was angesichts neuer Erkenntnisse keinen Grund, distanziert zu sein, liefern müsste, sondern im Gegenteil jenen lobenden Zuspruch, der ihm nach seinem Ausscheiden aus dem Innenressort von der Opposition zuteil wurde.

Ich weiß nicht, was ihn damals zu seinem Abgang als Innenminister bewogen hat, deutete Pröll in den "SN" lediglich eine gewisse Entfremdung an, statt zu erklären, was und wer Strasser zu seinem Wiedereintritt in die Politik veranlasst hat, nachdem er ein anderer geworden war. Ein Abgang, der in Niederösterreich große Irritationen ausgelöst hat, was beim hohen Grad der Verschmelzung von Land und Hauptmann jetzt nur in die Klage münden konnte: Ich persönlich bin maßlos enttäuscht, das ist ja ganz logisch. Ich bin auch entsetzt - und mit ihm zweifellos Niederösterreich - vom "Sunday Times"-Video, und zwar von Stil und vom Inhalt des Gesprächs.

Offen bleibt: Was geschah in der niederösterreichischen VP mit Ernst Strasser, das ihn ein anderer werden ließ? (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 26./27.3.2011)