Zuwanderer vor der Bundespolizeidirektion Wien: "Es ist wie beim Fußball: Wer das Spiel nicht versteht, sieht nur ein Durcheinander", sagt Unternehmensberater Çaglayan Çaliskan.

Foto: Heribert Corn

St. Florian - Polizist Max kennt die Türken als Täter. Zwanzig Jahre ging er in Rudolfsheim-Fünfhaus, einer der Zuwandererhochburgen Wiens, auf Streife. Ob Lärmexzess, Raufhandel oder gar Schießerei: "Bei 85 Prozent der Einsätze waren es Ausländer", sagt Max, "für einen Türken ist es ganz normal, wenn er seine Frau abwatscht." Von Kebabbudenbesitzern mit Millionenvermögen erzählt er, vom Hass zwischen den Volksgruppen und der Schwierigkeit, Zeugen aufzutreiben: "Weil gleich deren ganze Familie bedroht wird." Die türkische Freundlichkeit hat Max als "absolut falsch" kennengelernt: "Die wollen doch alle etwas von dir."

"Natürlich fängst du da an, über Ausländer zu schimpfen", sagt er, "du siehst ja nix anderes." Doch Max will sich nicht nachsagen lassen, zum rassistischen Bullen zu verkommen, ohne einen Blick aus einer anderen Perspektive gewagt zu haben. Diese hofft er in einem stuckverzierten Konferenzraum des Stiftes St. Florian bei Linz zu finden, wo sich ein eloquenter Mitvierziger in blaugrauer Businessuniform eben als "getürkter Österreicher" vorgestellt hat.

Vor 22 Jahren ist Çaglayan Çaliskan (s)einer Frau nach Vorarlberg nachgezogen. Weil die Bodenseeschifffahrt keine Ausländer anstellen durfte, verdingte sich der ausgebildete Kapitän erst einmal als Stoffschneider in einer Fabrik. Den Sprung zum Banker schaffte er mit einem entwaffnenden Argument beim Vorstellungsgespräch: "Sie haben hundert türkische Kunden, aber keinen türkischen Berater." Heute, als Eigentümer einer Consultingfirma, berät Çaliskan Menschen, die sich in einer fremden Gesellschaft zurechtfinden wollen: Unternehmen auf dem Weg nach Istanbul, aber auch Polizisten aus Otta-kring, Leoben oder Dornbirn.

15 Staatsdiener haben diesmal das Seminar "Interkulturelle Kompetenz" belegt, das den Kahlschlag im Kurskatalog der Sicherheitsakademie des Innenministeriums überlebt hat. Über "Regeln und Usancen anderer Kulturkreise" sollen die Teilnehmer erfahren, denn genau damit haben sie häufig ihre Not. Mit präpotenten Kids, die "keine Respektsperson kennen", schlägt sich eine Kleinstadtbeamtin herum, mit Rekruten, die Kommandantinnen nicht gehorchen wollen, ein Offizier des Heeresabwehramtes. Ein dritter Seminarist erzählt vom hitzigen Alltag im Polizeigefängnis: "Wenn ein Afrikaner fünf Zentimeter vor deinem Gesicht herumfuchtelt und brüllt, darfst du nicht die Nerven verlieren."

"Geben Sie mir die Hand!", bittet Çaliskan und blickt demonstrativ zu Boden: "Wie fühlt sich das an?" "Niederschmetternd", erwidert der Polizist. Die vermeintliche Unhöflichkeit sei in der arabischen Welt Ausdruck der Hochachtung, sagt Çaliskan und zählt andere missverständliche Gesten auf. Wer einem Griechen mit gespreizter Hand die Zahl Fünf anzeige, präsentiere ihm quasi den Stinkefinger, erklärt der Coach. Dann formt er Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis: "Was bei uns ein Zeichen für etwas Exzellentes ist, symbolisiert anderswo ein besonderes Körperteil."

Lange hält sich Çaliskan mit simplen Dos and Don'ts nicht auf. "Es ist wie beim Fußball: Wer das Spiel nicht versteht, sieht nur ein Durcheinander", sagt er und beginnt, kulturelle Eigenheiten zu sezieren: Den Hang vieler, aber - wie Çaliskan betont - natürlich nicht aller Türken zu autoritären Strukturen etwa oder das entspanntere Verhältnis zu Regeln, die mitunter weniger Bedeutung hätten als persönliche Beziehungen. "Gut-Böse-Denken" führe da auf den Holzweg, meint der Referent, es gelte zu lernen, mit anderen Lebensauffassungen umzugehen. Eine Großfamilie sei schließlich noch keine Parallelgesellschaft, und was gerne als Unterjochung der Frauen ausgelegt werde, sähen türkische Augen als Zusammenhalt an. "Natürlich gibt es auch unterdrückte Türkinnen", sagt Çaliskan, "aber das ist nicht in der Kultur begründet."

Stirnrunzeln im Saal. Wie es dann komme, dass sie oft Frauen gegenübersitze, die neben ihrem Gatten nicht den Mund aufkriegten, wendet eine Beamtin ein. In traditionellen Familien seien die Frauen Innenminister und die Männer Außenminister, antwortet Çaliskan: "Das heißt nicht, dass die Frauen nicht mitentscheiden."

Auch Polizist Max hat widersprochen. Das Seminar würde er trotzdem gerne desinteressierten Kollegen - "ich sehe hier keinen einzigen Streifenpolizisten" - als Pflicht vorschreiben. Um, wie er meint, nicht immer alles stur durch die Polizeibrille zu sehen.

Mehr wolle er gar nicht erreichen, sagt Rolemodel Çaliskan: "Ich möchte niemanden bekehren. Wenn alle verwirrt heimgehen, ist das mein größter Erfolg." (Gerald John, DER STANDARD; Printausgabe, 26./27.3.2011)