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Die USS Bataan läuft in Norfolk aus. Ihr Ziel: Das Mittelmeer, libysche Küste.

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Was die US-Soldaten dort erwartet, weiß auch Colonel Eric Steidl nicht. "Wir werden es herausfinden", sagt er.

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Die Amerikaner sind kriegsmüde. "Es wird langsam ein bisschen viel", sagt eine Soldatenfrau.

"Er war drei Monate da", sagt Margarita Castillo, "und nun sehen wir ihn wohl für den Rest des Jahres nicht mehr." Die zierliche, drahtige Frau steht hinter einer gelben Sperrlinie. Über ihr ragt ein graues Stahlmonster auf, das Amphibienschiff USS Bataan. Stromgeneratoren rattern, Gabelstapler lärmen im Rückwärtsgang, wie Spielzeug wirken sie gegen den maritimen Riesen. Irgendwo weit oben, in einem Hochhaus wäre es ungefähr der zwanzigste Stock, steht der Leutnant Joel Castillo und hat seine Familie erspäht. Bei Margarita meldet sich das iPhone. "Alle mal winken", bittet Joel per SMS.

Also winken sie, die zurückbleibende Ehefrau, ihre Schwester, die drei Töchter Alexia, Ariana und Anali. Die Sechste im Bunde, Margaritas Mutter, ist extra aus der Wüste New Mexicos an den Atlantik gereist. "Siehst du uns?", textet Margarita zurück, "siehst du uns?"

Wenn Krieg ist und die USA intervenieren, merken sie es auch in Norfolk, selbst wenn niemand das Weltgeschehen verfolgen würde. Die Flottenbasis am majestätisch breiten James River ist die größte des Landes, theoretisch können hier mehr als hundert Kriegsschiffe zugleich beladen werden. "Jedes Mal, wenn es in der Welt brennt, rechnen wir mit einem Anruf", sagt der Navy-Captain Steven Yoder. "Libyen, das hat mich nicht überrascht", ergänzt der Colonel Eric Steidl, dem das 22. Expeditionskorps der Marineinfanterie untersteht. "Wir schauen ja Fernsehnachrichten."

Eigentlich sollte die Bataan, benannt nach einer Weltkriegsschlacht auf den Philippinen, erst ab Juli irgendwo zwischen Mittelmeer, Persischem Golf und dem Horn von Afrika kreuzen. Nun wird sie vorzeitig vor die Küste Nordafrikas verlegt, zusammen mit der Mesa Verde und der Whidbey Island, zwei kleineren Begleitschiffen. Insgesamt sind 2200 Marineinfanteristen an Bord, dazu einige hundert Matrosen. Niemand weiß, wie es in Libyen aussieht, wenn der Verband dort eintrifft. Vielleicht hört Steidl dann auf die Kommandos eines britischen oder französischen Generals, politisch will es das Weiße Haus so. Man möchte Juniorpartner der Europäer sein, nicht mehr. "Wir werden es herausfinden, wenn wir vor Ort sind", sagt Steidl und überspielt etwaige Verunsicherung durch einen resoluten Tonfall.

Die Weltmacht in zweiter Reihe, auch für den Colonel ist es ein ganz neues Drehbuch. Man merkt es an seinen auswendig gelernten Sätzen: Er muss sich noch hineinfinden in die neue Zeit, da mit Barack Obama ein Mann im Oval Office sitzt, der genauso beharrlich an Koalitionen bastelt, wie George W. Bush den selbstsicheren "Entscheider" herauskehrte. Steidl ist seit 1989 bei den Marines, den Ledernacken. Seine Auslandseinsätze rattert er herunter wie andere die Stationen eines langen Berufslebens. 1991 der Golfkrieg, dann Somalia, 2003 bis 2007 Irak, zwischendurch humanitäre Hilfe, nach dem Tsunami in Indonesien und dem Erdbeben in Haiti. Das Lazarett der Bataan hat 600 Betten, weshalb das Schiff vor Tripolis oder Bengasi als schwimmendes Krankenhaus dienen könnte. Seine 26 Hubschrauber könnten aber auch Kampfeinsätze fliegen. "Wir haben für alles trainiert", betonen Hauptmann Yoder und Oberst Steidl. Es ist eine Fahrt ins Ungewisse.

Margarita Castillo stammt aus Ecuador, ihr Mann aus Mexiko. Sie wollte weg aus dem rauen, perspektivlosen Viertel von Los Angeles, in dem sie ihre Jugend verbrachte, und ging zur Navy. Als die erste Tochter geboren wurde, nahm sie ihren Abschied. Da war die Mission in Somalia gerade gescheitert. Die dritte, Anali, kam vor sieben Jahren zur Welt, mitten im irakischen Schlamassel. Rechnet man es zusammen, war Joel Castillo in sechs von 15 Ehejahren bei seiner Familie.

Stacie Casey wartet zitternd in der Märzmorgenkälte, ein dünnes Jäckchen über den nackten Schultern, im Arm Baby Harrison. Sie lag noch in der Klinik nach der Entbindung, da erfuhr ihr Mann Justin, dass es früher als geplant ins Mittelmeer geht. "Ich bin ziemlich nervös", bekennt die Zwanzigjährige, macht eine Pause und zählt auf, was es materiell für Vorteile bringt, wenn man Berufssoldat wird.

Das Militär bezahlt die teure Gesundheitsfürsorge, steuert Wohngeld bei, und sollte Justin irgendwann einmal studieren wollen, erhält er ein Stipendium. In Florida, wo er herkommt, sieht es nach der geplatzten Immobilienblase schlecht aus mit Jobs. "Die Kriegsmarine bedeutet sicheres Geld", mischt sich Brenda Connolly ein, Stacies Mutter. "Du kannst nicht alles haben."

Gedrückte Stimmung

Eine Zeremonie mit Pauken und Trompeten wird es nicht, als die Schiffe aus dem Hafen laufen. Keine Kapelle spielt eine Hymne, kaum einer wedelt mit den sonst so obligatorischen Fähnchen. Auch das Krokodil-Maskottchen, das zum Abschied ausgelassen auf dem Deck tanzt, ändert nichts an der gedrückten Stimmung. "Es wird langsam ein bisschen viel", sagt Margarita Castillo. "Wir brauchen mal eine Pause." (Frank Herrmann aus Norfolk/DER STANDARD, Printausgabe, 26.3.2011)