Hätte eine Journalistin eines heimischen Mediums den mittlerweile Nicht-mehr-EU-Abgeordneten Ernst Strasser mit denselben Methoden aufgedeckt wie die Kollegin der britischen Sunday Times, was wäre dann passiert? Hätten wir eher über die Ergebnisse dieser verdeckten Recherche debattiert oder primär über den "unsauberen" Journalismus? Nach dem Ehrenkodex des kürzlich wiederbegründeten Selbstkontrollgremiums "Österreichischer Presserat" gilt Einschleichjournalismus als unethisch, sind "Irreführung" und die "Verwendung geheimer Abhörgeräte" unlautere Mittel.

Vor 25 Jahren war die Wiener Journalistin Susi Riegler vom Presserat verurteilt worden. Hans Hermann Groër war vom Vatikan gerade als Nachfolger von Kardinal König zum Erzbischof von Wien ernannt worden und viele Katholiken in Sorge, er würde die Wende bedeuten. Journalistischen Interviews zu seinen Standpunkten verweigerte sich der neue Kirchenmann. Daher hatte die Journalistin unter dem Vorwand, eine Lehrerin und Jungscharführerin mit Seelennöten zu sein, beim neuen Erzbischof ein Beratungsgespräch erschlichen und dieses mit verstecktem Tonband aufgezeichnet.

Was sie Groër dabei entlockt hatte, sollte eigentlich viele Alarmglocken läuten lassen. Aber Österreich debattierte darüber nicht. Die Kirche warf der Journalistin Nazimethoden vor sowie den Bruch des Beichtgeheimnisses, weil das Magazin Basta das Gesprächsprotokoll als "Beichte bei Groër" publiziert hatte. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten - unter ihnen auch Alfred Worm, die Leitfigur des investigativen Journalismus - schalteten Inserate gegen die Kollegin. Manche Politiker propagierten gar ein indirektes Berufsverbot: Man möge der Journalistin künftig einfach keine Interviews mehr geben, dann sei sie erledigt. Rieglers journalistische Vorgangsweise verteidigten in der Branche damals nur ganz wenige, Unterstützung kam indes von deutschen Kollegen. Durch die heftige Debatte war das Fellner-Magazin verschreckt worden. Ehemalige Zöglinge Groërs hatten sich danach in der Redaktion gemeldet. Ihre massiven Missbrauchsvorwürfe wagte aber erst viele Jahre später ein anderes Magazin - Profil 1995 - zu publizieren.

Was würde passieren, wenn eine Journalistin sich 2011 bei einem hochrangigen Kirchenmann einschleicht? Vermutlich verliefe die Debatte weniger heftig, weil die Kirche sich zum einen daran gewöhnt hat, dass viele Journalisten sie mittlerweile nicht mehr mit Samthandschuhen anfasst, und weil die Kirche insgesamt an Reputation verloren hat.

Aber hat die verdeckte Recherche, der Einschleichjournalismus, also die "Wallraff-Methode", heute mehr Akzeptanz unter Journalisten und Mediennutzern? Neben Großbritannien und USA war gerade auch in Wien ab den 1880er Jahren der unter falscher Identität recherchierende Journalismus entwickelt worden, um vor allem soziale Missstände aufzudecken. Nach dem Ende der Ersten Republik war damit für längere Zeit Schluss. Erst ab Mitte der 1970er Jahre kam es wieder zu einer Renaissance. Seit Anfang der 90er Jahre wird die strittige Recherchemethode in Österreich jedoch kaum mehr praktiziert. 20 Jahre nach der heißen Debatte um den Fall Groër-Basta hat Monika Gratzl für ihre Diplomarbeit bei den Journalisten nachgefragt, die damals Susi Rieglers Arbeit kritisiert hatten. Im wesentlichen revidierten sie ihr altes Urteil nicht.

Warum ist verdeckte Recherche, die übrigens auch nach Ansicht des deutschen Presserats nur in Ausnahmefällen akzeptabel sei, heute in Österreich so rar? Sind Journalisten heute angepasster? Liegt es am erhöhten Arbeitsdruck in durch die Medienkrise weiter ausgedünnten Redaktionen? Wer Journalisten heute die Frage stellt, warum nicht österreichische Medien Strasser aufgedeckt haben, bekommt u.a. als Antwort: "Was glauben Sie, wie mich mein Chefredakteur anschaut, wenn ich ihm vorschlage, dass ich mich die nächsten acht Monate mit dem Fall X beschäftigen möchte." Medienhäuser sind möglicherweise auch immer weniger bereit, die Folgekosten von Gesetzesbrüchen, zu denen es bei verdeckter Recherche fast zwangsläufig kommt, zu zahlen. Zudem ist die Frage zu stellen, ob infolge zunehmender Akademisierung immer weniger Querköpfe in den Journalismus kommen?

Fraglos haben Politik, Wirtschaft und andere Bereiche in den letzten 20 Jahren ihre PR-Stäbe massiv ausgebaut und es wird mehr denn je für die mediale Öffentlichkeit inszeniert. Der Journalismus muss sich fragen, ob er angesichts dessen ausreichende Ressourcen und Werkzeuge hat, um hinter die Inszenierungen blicken zu können. Gerade am Fall Strasser zeigt sich, dass die verdeckte Recherche weder überholt noch durch anderes ersetzbar ist. Wie sonst wäre in so verhältnismäßig knapper Zeit sein inkriminiertes Handeln aufdeckbar gewesen? Benachteiligte oder Geschädigte, die von seinem Handeln wissen und Journalisten Informationen zukommen lassen, dürfte es in diesem Fall nicht gegeben haben.

Medien brauchen also nicht nur für Fälle wie jenen Strassers neben anderen Formen des investigativen Journalismus auch die "Undercover"- bzw. Einschleichreporter, um die Kontrollfunktion ausreichend zu leisten. Journalisten müssen sich meines Erachtens heute mehr trauen als sie offiziell dürfen, um das zu schaffen, was sie für eine moderne demokratische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts leisten sollen. (Fritz Hausjell, DER STANDARD, Printausgabe, 26.3.2011)