Hülya Kamçi: Türkei ist reif. 

Foto: Standard/Bernath

Den Männern traut sie nicht, auch nicht denen in ihrer eigenen Partei. "Solange Frauen mit Kopftuch wie ich nicht für die Sache kämpfen, wird dieses Problem nicht gelöst" , sagt Hülya Kamçi. Das Problem ist das Verbot, als Abgeordnete mit muslimischem Kopftuch im türkischen Parlament zu sitzen. Und Hülya Kamçi ist die Lösung. Wie hunderte andere Politikerinnen kämpft sie jetzt um einen Platz auf der Kandidatenliste der regierenden konservativ-muslimischen AKP. In zweieinhalb Monaten, am 12. Juni, sind Parlamentswahlen, und gewinnt sie einen Sitz, dann geht die 39-Jährige zum Showdown ins Plenum. "Die Türkei ist reif dafür" , sagt sie.

855 Frauen haben bei der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) ihre Bewerbung um einen Listenplatz abgegeben. Es sind nur 15 Prozent der Kandidaten der Regierungspartei, doch fast alle dieser Frauen sind entschlossen, dieses Mal die Republik mit ihrer säkularen Verfassung herauszufordern. Kopftücher sind in der Türkei für Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst verboten und im Parlament in Ankara erst recht undenkbar.

Als 1999 eine Abgeordnete der islamistischen Tugendpartei mit Kopftuch zur Vereidigung erschien, wurde sie mit ohrenbetäubendem Getrommel und "Hinaus!" -Rufen der Männer aus dem Plenum getrieben und verlor später ihr Mandat. "Das wird es kein zweites Mal geben" , sagt Hülya Kamçi voraus. Die Türkei sei demokratischer geworden. "Es wäre auch ein großer Verlust für die Männer" , sagt die Politikerin aus Balikesir selbstbewusst.

Kamçi führt seit acht Jahren den Frauenverband der AKP in dieser Provinzstadt im Westen der Türkei, zwischen Bursa und Izmir. Der Parteichef, Premierminister Tayyip Erdogan, wird Anfang April persönlich entscheiden, wer auf die aussichtsreichen Listenplätze kommt. Das ist Usus bei den türkischen Parteien. Doch anders als bei den Parlamentswahlen 2002 und 2007 scheint Erdogan dieses Mal nicht abgeneigt, Frauen mit Kopftuch auf den Wahl-plakaten ins Rennen zu schicken. Als ihn Anfang des Monats eine türkische Journalistin darauf ansprach, soll Erdogan gesagt haben: "Ihr ebnet den Weg. In der Politik ist alles möglich."

Dass kleine islamistische Gruppierungen wie die Partei der Glück-seligkeit des verstorbenen früheren Premiers Necmettin Erbakan mit Kopftuchfrauen um Stimmen werben, setzt die AKP ein wenig unter Zugzwang. Wichtige Führer der Regierungspartei halten das Risiko eines neuen großen Kopftuchstreits mitten im Wahlkampf aber für zu hoch. Denkbar ist, dass die AKP-Führung wohl Frauen mit Kopftuch aufstellt, ihnen aber nur schlechte Listenplätze zuteilt. Potenzielle Kandidatinnen wie Hülya Kamçi werden sich das nicht gefallen lassen. "Ich habe nicht allein meine Bewerbung entschieden" , sagt sie, "NGOs, die Leute, alle haben sie mich gedrängt zu kandidieren, um das Kopftuchverbot zu Fall zu bringen."

Erdogans AKP fühlt sich gleichwohl stark. Alle Umfragen sagen ihr einen dritten Wahlsieg in Folge mit 45 bis 47 Prozent der Stimmen voraus. (Markus Bernath aus Istanbul /DER STANDARD, Printausgabe, 28.3.2011)