Wahltag ist Zahltag, sagt der Volksmund, und das traf in Deutschland schon lange nicht mehr so zu wie bei dieser Landtagswahl in Baden-Württemberg. Die schwarz-gelbe Landesregierung wurde so deutlich abgewählt, dass in Berlin Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) noch eine Weile wackeln werden - wenn Westerwelle nicht überhaupt fällt.

Für ihn waren die letzten drei Wahlen eine Qual: Vorige Woche, in Sachsen-Anhalt, kam die FDP nicht in den Landtag, am Sonntag in Rheinland-Pfalz flog sie raus, in Baden-Württemberg zitterte sie den ganzen Abend über. Schon zu Dreikönig war der parteiinterne Frust wegen Westerwelle groß. Die thematische Einengung auf Steuersenkungen und seine Beschimpfung von Sozialhilfeempfängern kamen äußerst schlecht an. Damals hat er sich noch retten können. Ob dies noch einmal gelingt, ist ungewiss.

Auch Merkel hat am Sonntag verloren. Der kleine Gewinn in Rheinland-Pfalz kann nicht über das Desaster in Baden-Württemberg hinwegtrösten. Dort hat Schwarz-Gelb zunächst die Quittung für den Stuttgarter Superbahnhof "S 21" bekommen. Bedingungslos hat man sich (auch Merkel in Berlin) hinter dieses Megaprojekt gestellt, was grundsätzlich noch kein Übel ist. Aber die Art und Weise, wie der Umbau - sogar mit Polizeigewalt - durchgeprügelt werden sollte, war verheerend.

Die zweite Quittung gab es für den atomaren Zickzackkurs. Im Herbst 2010 peitschte Merkel die Verlängerung der AKW-Laufzeiten gegen den mehrheitlichen Willen der deutschen Bevölkerung durch. Dann aber, kurz nach der Katastrophe von Fukushima und kurz vor der Wahl im Ländle, drehte sich die Kanzlerin um 180 Grad und blies die Verlängerung der Laufzeiten ab.

Das war in höchstem Maße unglaubwürdig - erst recht, weil Schwarz-Gelb der Spiegel von den Grünen ins Gesicht gehalten wurde, die in der Atomfrage seit 30 Jahren Kurs halten. Nun stehen Merkel schwere Monate bevor. Atomkraft ist in Deutschland am Sonntag quasi abgewählt worden. Sie aber will in drei Monaten ein Energiekonzept vorlegen, das nicht gänzlich auf Kernkraft verzichtet.

Und die atomare Kehrtwende ist ja nicht die einzige, die Merkel hinlegte. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag hieß es noch, man wolle an der Wehrpflicht festhalten. Mittlerweile wurde sie "ausgesetzt", also de facto abgeschafft. Viele Wählerinnen und Wähler, aber auch Parteifunktionäre, sind damit überfordert. Dazu kommt, dass die schwarz-gelbe Koalition in Berlin eigentlich bis heute nicht richtig Tritt gefasst hat. Sie stritt, sie vertrug sich, sie rief x-mal den Neuanfang aus. Eines aber schaffte sie nicht: Begeisterung für ihren Kurs auszulösen.

Noch steht Merkel besser da als Westerwelle. Wer sollte jetzt schon übernehmen? Es gibt im Moment keine ernsthaften Konkurrenten. Die einstigen Ministerpräsidenten Roland Koch (Hessen) und Jürgen Rüttgers (Nordrhein-Westfalen) haben sich frustriert aus der Politik zurückgezogen. Christian Wulff wurde als Bundespräsident ins Schloss Bellevue abgeschoben. Doch das heißt noch nicht, dass Merkel völlig aus dem Schneider ist. Auch Stiche aus der zweiten Reihe können extrem schmerzhaft sein. (Birgit Baumann /DER STANDARD, Printausgabe, 28.3.2011)